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729. Nacht

Sie schlichen durch weitläufige Gärten, und weil die
Nacht schon weit vorgerückt war, so begegneten sie niemand. Nachdem Haram eine
kleine Türe gesprengt hatte, führte er seinen Gesellen durch mehrere lange
Gänge in die Vorhalle der königlichen Wohnung. Sie gelangten endlich an einen
Teppich: Haram hob ihn leise empor und ließ seinen Gefährten den
eingeschlafenen König sehen, neben welchem ein Page stand, der selber vom
Schlaf überwältigt schien. In einem anstoßenden Zimmer hörte man den Schritt
der Offiziere, welche die Wache bei der Person des Königs hatten.

Bei diesem Schauspiel wäre Akil fast rücklings
hingesunken. „Großer Gott!“, rief er aus, „wo hast du uns
hingeführt? Lass uns schleunig umkehren, unser Untergang ist gewiss, wenn wir
entdeckt werden.“

„Du erschrickst auch sehr leicht,“ antwortete
Haram, „Du hast mit dem Kadi gesprochen, ich muss hingehen und mit dem
König sprechen.“

Zu gleicher Zeit näherte er sich mit bewundernswürdiger
Behändigkeit dem jungen Pagen, der, ganz schläfrig, beschäftigt war, dem
Sultan die Fußsohlen zu kitzeln, und Mastix kaute, um nicht einzuschlafen:
Sogleich öffnete er ein Fläschchen, welches einen betäubenden Geruch
ausströmte, und die Wirkung desselben war so schleunig, dass der Page auf der
Stelle in den tiefsten Schlaf versank: Jetzt schlang er ihm ein Seil unter die
Arme und hängte ihn damit an der Decke auf. Sodann nahm er seine Stelle in,
kitzelte dem König die Fußsohlen und machte es so, dass er ihn aufweckte.

Der Fürst gähnte, und Haram ergriff die Gelegenheit, ihn
anzureden.

„Herr,“ sprach er zu ihm, „da Euer
Majestät nicht schläft, befehlt Ihr, dass ich Euch zum Zeitvertreib eine
Geschichte erzähle?“

Der Sultan ließ sich dieses Erbieten gefallen, und Haram
fuhr also fort:

Geschichte der Favoritin

„Es war einmal zu Ispahan ein junger Seidenhändler,
der sich ebenso durch seine Schönheit wie durch die Liebenswürdigkeit seines
Benehmens auszeichnete. Man sprach in dieser Hauptstadt nur von der Gestalt und
Anmut dieses jungen Mannes. Die Favoritin des Königs, der damals in Persien
herrschte, hörte auch von ihm reden. Sie bekam ein brünstiges Verlangen, ihn
zu sehen, und als sie ihre Neugier befriedigt hatte, erkannte sie, dass die
Reden von dem jungen Mann nicht übertrieben waren, sondern dass seine
Schönheit alles weit übertraf, was man ihr davon gesagt hatte: Ja dieselbe
machte auf sie einen solchen lebhaften Eindruck, dass sie in kurzer Zeit Schlaf
und Esslust verlor.

Ihre Amme, die ihr höchst zugetan war, bemerkte die mit
ihr vorgegangene Veränderung und fragte sie um die Ursache derselben. Die
Favoritin weigerte sich lange, ihr die Leidenschaft zu bekennen, welche sie
ergriffen hatte. Endlich aber gestand sie, dass das Bild des jungen Kaufmannes
ihre Ruhe gestört hätte, und sie versicherte ihrer Amme, dass alle Hoffnung
auf Glückseligkeit für sie verloren wäre, wenn sie den jungen Mann nicht
wieder sähe. Die Amme suchte lange Zeit sie von dieser unseligen Leidenschaft
abzulenken. Als sie aber sah, dass ihre Vorstellungen und Ratschläge fruchtlos
waren, und dass die Favoritin, unvermögend, ihre Liebe zu besiegen, täglich
mehr hinschwand, so versprach sie ihr, alles mögliche zu tun, um ihr Verlangen
zu befriedigen.

Sie ging also zu dem jungen Mann, teilte ihm die
Empfindungen der Prinzessin mit und ihr Verlangen nach einer Zusammenkunft mit
ihm. Beide kamen überein, mehrere große Kisten mit Seidenzeugen zu füllen und
ihn in der letzten zu verstecken, was auch noch denselben Abend ausgeführt
wurde. Man zeigte den zur Bewachung des Harems angestellten Verschnittenen die
mit Waren gefüllten Kisten vor; und als die Amme ihnen gesagt hatte, diese
Sachen wären für die Favoritin bestimmt, so nahm sich keiner heraus, sie zu
durchsuchen.

Sobald der junge Kaufmann auf solche Weise hereingebracht
war, beeilte man sich, ihn aus dem engen Gefängnis hervorzuziehen, in welchem
er eingesperrt war: Aber kaum hatte er Zeit gehabt, der Favoritin einige Worte
zu sagen, als die erschrockene Amme eintrat und die Ankunft des Sultans
verkündigte, und dieser Fürst trat so schleunig herein, dass die Favoritin
kaum Zeit hatte, ihren Geliebten wieder in den Kasten zu versperren, aus welchem
sie ihn soeben hervorgezogen hatte.

Schrecken hatte schon den unglücklichen Kaufmann
ergriffen. Er verdoppelte sich noch, als er hörte, dass der Sultan ziemlich
dringend zu sehen begehrte, was die Kisten enthielten. Aber sein Schrecken
erreichte den höchsten Gipfel, als er die Sultanin antworten hörte:

„Ich kann dem Verlangen Euer Majestät nicht
nachgeben, denn mein Liebhaber befindet sich in einer derselben.“

„Unselige!“, rief der Sultan aus, „so also
wagst Du es, meinen Palast zu besudeln! Du bist auf der Stelle des Todes, ebenso
wie der unwürdige Gegenstand Deiner Liebe. – Wachen, ergreift sie!“

Der Kaufmann war in diesem entscheidenen Augenblick der
Ohnmacht nahe. Er glaubte, die Favoritin hätte den Kopf verloren, als er ein
lautes Gelächter aufschlagen hörte.

„Herr,“ sprach sie ihrerseits mit Hoheit,
„ich wollte sehen, ob Euer Majestät einiges Vertrauen zu mir hätte, und
ich freue mich, nun zu wissen, was ich von Eurer Zuneigung zu mir zu halten
habe. Wähnt Ihr mich denn so von Sinnen, Euer Majestät zu betrügen und Euch
zugleich so töricht meinen Fehltritt zu gestehen? Ihr mögt jetzt die Kisten
öffnen, hier sind die Schlüssel. Aber ich erkläre Euch zu gleicher Zeit, dass
ich für immer auf einen Wohnort Verzicht leiste, wo ich der Gegenstand des
schimpflichen Verdachts gewesen, und auf die Liebe eines Fürsten, dessen
Vertrauen ich verloren habe.“

Diese mit einem festen Ton ausgesprochenen Worte machten
den Sultan so kleinlaut, dass er, weit entfernt, an die Bewährung seines
Verdachts zu denken, sich nur damit beschäftigte, den Zorn der Favoritin zu
besänftigen, welche durch diese List glücklich ihren Geliebten rettete.“