Project Description

728. Nacht

„Wie, mein Bruder,“ erwiderte dieser, „habt
Ihr mich im Verdacht einer so unredlichen Handlung haben können? Haltet Ihr
mich für fähig, ein mir von Euch anvertrautes Gut zu behalten? Es ist da, ganz
und unberührt, und wenn ich es Euch nicht schon diesen Morgen zurückgestellt
habe, so geschah es, weil ich Eure Seele gewöhnen wollte, die
Widerwärtigkeiten, welche die Vorsehung Euch zuschicken könnte, mit Ergebung
zu ertragen. Da, nehmt Euer Gold und lasst uns zusammen gehen, denn ich muss zu
dem Herrn Kadi, der mich mit seiner Güte beehrt und mich gebeten hat, diesen
Abend zu ihm zu kommen.“

„Wir können in Gesellschaft gehen,“ sagte der
Kaufmann, „denn ich habe gerade auch mit ihm zu reden.“

Beide begaben sich miteinander auf den Weg. Sobald der
Kadi sie erblickte, sagte er zu dem Kaufmann: „Ihr scheint zufrieden mit
dem Herrn Abdallah.“

„Man kann es nicht mehr sein,“ antwortete der
Kaufmann.

„So muss ich ihn denn auch zufrieden stellen,“
fuhr der Kadi fort. „Ich habe ihm diesen Morgen eine Belohnung versprochen,
und ein Beamter muss sein Wort halten.“

Und zu gleicher Zeit befahl er, ihm zweihundert
Stockschläge auf die Fußsohlen zu geben, was denn auch auf der Stelle
vollstreckt wurde.

Auf solche Weise, Herr Kadi,“ fügte Akil hinzu,
„entlarvte einer Eurer Amtsgenossen die Heuchelei und Zweizüngigkeit eines
Schurken. Ich hoffe, Ihr werdet ebenso glücklich die Frechheit dieses
Ungläubigen zuschanden machen, welcher den Diebstahl zu leugnen wagt, dessen er
sich schuldig gemacht hat: Geruht ihn nur durchsuchen zu lassen, und Ihr werdet
ihn bald des begangenen Verbrechens überführen.“

Der Kadi befahl sogleich den Polizeidienern, die Kleider
des Juden zu durchsuchen, und man fand bei ihm eine Börse mit Zechinen. Der
Angeklagte behauptete, diese Börse gehörte ihm ganz rechtmäßig. Seinerseits
versicherte Akil, er erkenne vollkommen den ihm gestohlenen Beutel. In dieser
Verwicklung der Umstände gebot der Richter beiden Teilen, anzugeben, was in der
streitigen Börse enthalten sein sollte.

„Es sind hundert Zechinen darin,“ antwortete der
Jude, „welche ich diesen Morgen genau gezählt habe.“

„Du lügst, frecher Schelm,“ entgegnete Akil,
„es sei denn, dass Du gegen die Gewohnheit Deiner Glaubensgenossen mehr
wiedergibst, als man Dir geliehen hat: Es sind nur neunzig darin. Aber mein
Siegelring muss sich dabei befinden, wenn Du ihn nicht herausgenommen hast, und
das wird hinreichend sein, den Streit zu entscheiden.“

Diese Beschuldigung machte den unglücklichen Juden ganz
verwirrt. Aber er wurde noch mehr bestürzt, als er sah, dass sein Ankläger
recht hatte. Vergeblich wollte er etwas dagegen einwenden: Der Kadi ließ ihm
auf der Stelle die Bastonade geben und dem Akil das in Anspruch genommene Geld
zustellen. –

Haram konnte sich nicht enthalten, seinem Genossen wegen
seiner Gewandtheit und Kühnheit Glück zu wünschen. Er gestand, es würde ihm
schwer werden, seinen Nebenbuhler zu übertreffen. Aber gleichwohl wollte er es
versuchen und gab ihm ein Stelldichein noch denselben Abend bei dem Palast des
Königs.

„Akil,“ sprach er hier zu ihm, „Du hast
einen Juden und einen Kadi hinters Licht geführt. Ich aber will ein noch
größeres Stück unternehmen, und der König selber ist es, an den ich mich
machen will. Ich kenne alle Irrgänge des Palastes, und mit Hilfe einer
Strickleiter, mit der ich mich versehen habe, wird es uns leicht werden, in die
inneren Gemächer des Harems einzudringen. Fühlst Du dich kühn genug, mich zu
begleiten?“

Akil war über die Verwegenheit dieses Unterfanges
erschrocken. Aber er schämte sich, zurückzutreten, und er half seinem Gesellen
die Strickleiter auf eine der Mauern des Palastes werfen.