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725. Nacht

Der Jude war nicht wenig überrascht, als er sich von
einem unbekannten Menschen angefallen sah. Er verwirrte sich in
Entschuldigungen, schwur ihm beim Abraham, Isaak und Jakob, dass er sich ohne
Zweifel irrte, und dass er niemals daran gedacht hätte, sein Eigentum
anzutasten.

„Wie, Ehrloser!“, fuhr Akil fort, „Du wagst
es noch, den Diebstahl zu leugnen, den Du begangen hast? Aber vergeblich
schmeichelst Du Dir, durch Deine Demut der gerechten Strafe zu entgehen, welche
Dir aufbehalten ist. Fort, folge mir zu dem Kadi und antworte auf die Fragen,
welche er Dir vorlegen wird.“

Mit diesen Worten ergriff er ihn bei seinem Kaftan und
schleppte ihn mehr tot als lebendig vor den Richter.

„Herr Kadi,“ sprach er, „ich führe Euch
hier einen der frechsten Diebe vor, so Euch noch zu bestrafen vorgekommen ist.
Der Jude, den Ihr hier seht, hat mir eine ansehnliche Summe gestohlen. Kaum sind
es einige Stunden, dass der Diebstahl begangen ist, und schon wagt er nach
dieser ehrlosen Handlung mitten auf dem Basar ruhig zu wandeln wie ein
unbescholtener Mensch.“

„Ich beteure,“ entgegnete der Jude, „dass
ich mich niemals irgend einer strafwürdigen Handlung schuldig gemacht und
diesen Menschen niemals gesehen habe, der mich ohne Zweifel für einen andern
nimmt oder den Verstand verloren hat.“

„Hund von Israeliten,“ versetzte Akil, „es
ziemt Dir auch recht, einen wahren Muselmann so zu beschimpfen! Herr Kadi, lasst
Euch durch die Beteuerungen dieses Ungläubigen nicht hinters Licht führen, er
leugnet mit ebensolcher Frechheit wie jener Kaufmann von Indien, als er ein ihm
anvertrautes Gut für sich behalten wollte, aber Ihr werdet seine Ausflüchte
ebenso geschickt vereiteln, wie dort der Kadi die Spitzbüberei des Kaufmanns
entlarvte.“

„Wie benahm sich mein Amtsgenosse dabei?“,
fragte der Kadi, „ich habe niemals von dieser Geschichte etwas
gehört.“

Akil nahm hierauf das Wort und sprach also:

Geschichte Abdallahs

„Herr, es lebte einst in einer der lebhaftesten
Handelsstädte Indiens ein Muselmann im großen Ruf der Frömmigkeit und
Rechtschaffenheit. Dieser heilige Mann brachte ganze Tage in den Moscheen zu, er
verschärfte die Strenge der Fasten im Ramadan noch durch tausend Entbehrungen,
welche er jeden Tag sich auflegte. Niemals waren seine Lippen mit der
berauschenden Flüssigkeit befleckt worden, welche Dschemschyd erfand und der
Prophet verboten hat. Dieser Lebenswandel hatte ihm allgemeine Hochachtung und
Zutrauen erworben. Mit einem Wort, er hatte sich durch seine Strenge und seinen
Glaubenseifer so berühmt gemacht, dass, wenn man von der Andacht oder der
Magerkeit eines Menschen eine hohe Vorstellung geben wollte, man nur sagte:
„Er ist so andächtig, oder mager, wie Abdallah während des Ramadans.“