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719. Nacht

Der Prinz, der von seinem Schrecken wieder zu sich
gekommen war, fragte jetzt den Riesen, was aus seinem Bruder und seiner
Schwester geworden wäre, und als er vernahm, dass beide sich in demselben
Palast und in der Gewalt des Geistes Abutawil befänden, verlangte er zur
Vergeltung von dem Reisen ein Mittel, sie zu befreien.

„Ich will Dich,“ antwortete dieser ihm, „zu
ihnen bringen, und sobald Du in dem Palast bist, kannst Du mit dem Talisman, den
ich Dir gebe, Abutawils geheimes Zimmer öffnen: Darin wirst Du eine kleine
Schachtel mit einem von Salomon angefertigten Pulver finden. Stecke sie in
Deinen Busen, und wenn der Geist vor Dir sich zeigt, so wirf ihm ein wenig von
diesem Pulver ins Gesicht und ruf ihm zu: „Nieder, Elender! Salomon
befiehlt es!“ Der bestürzte Geist wird auf der Stelle den Boden messen:
Sogleich fasse Mut, ihm zu nahen, und nimm aus seinem Busen einen Vogel, an
welchen sein Schicksal geknüpft ist. Sobald Du Dich dieses Vogels bemächtigt
hast, kannst Du Abutawil leichtlich zwingen, alles zu tun, was Du ihm
befiehlst.“

Murad hatte kaum Zeit, dem Riesen zu danken: Er fühlte
eine heftige Erschütterung und war sehr überrascht, als er sich plötzlich in
einem Palast aus Diamanten befand, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen war.
Aber er dacht wohl, dass er bei Abutawil wäre, und suchte das Zimmer seiner
Schwester. Diese stieg eben in den Garten hinab und war nicht wenig verwundert,
zu sehen, dass ein Mann in ihren Wohnsitz eingedrungen war.

Murad erkannte wohl seine Schwester, aber er hielt es
nicht für ratsam, sich sofort zu erkennen zu geben, sondern beschloss zu
erwarten, bis sie ihn anreden würde. Nachdem Aischah ihn begrüßt hatte,
bezeigte sie ihm ihr Erstaunen und fragte ihn, wie er vermocht hätte, in diesen
Palast einzudringen.

„Gnädige Frau,“ antwortete Murad, „ich bin
ein Königssohn und war noch sehr jung, als mein Vater durch die Treulosigkeit
eines verwegenen Wesirs ermordet wurde. Ich selber hatte viel Mühe, mich seinen
Streichen zu entziehen, und nachdem ich lange umhergeirrt war, begab ich mich
auf ein Schiff, welches Schiffbruch litt, so dass ich allein mich auf diese
Küste gerettet habe. Als ich aus der Ferne Euren Wohnort sah, so gedachte ich
ihn in wenigen Stunden zu erreichen, aber ich bin drei Tage gewandert, ohne
einen Eingang in diesen Palast zu finden, in welchem ich Hilfe zu finden hoffte,
deren ich so bedürftig bin: Da sah ich Euren Roch, der in geringer Entfernung
von mir schlief; und weil ich weiß, dass dieser Vogel immer zu den
Zauberpalästen gehört, so fasste ich mir ein Herz und band mich an einen
seiner Füße: Sobald er aufwachte, brachte er mich hierher.“

Aischah bewunderte die Gewandtheit und Kühnheit ihres
jungen Gastes. Als sie aber bedachte, dass er nicht lange den Blicken ihres
Gemahls verborgen bleiben könnte, sagte sie seufzend zu ihm:

„Ihr seid, um Zuflucht zu suchen, in die Wohnung
eines Ungeheuers gekommen. Flieht eiligst von hinnen, binnen zwei Stunden kehrt
es heim, und ungeachtet Eures Mutes hofft nicht, ihm widerstehen zu
können.“

Sie erzählte ihm hierauf verschiedene Züge von der
Grausamkeit des Geistes, von seiner außerordentlichen Stärke und von seiner
treulosen Schlauigkeit. Sie sagte ihm, wie er ihren Bruder aufgenommen hätte,
um ihn zu verderben, und diese Erinnerung erneute ihren Schmerz, so dass ihre
Rede häufig von ihren Tränen unterbrochen wurde.

„Fürchtet nichts für mich, edle Frau,“ sprach
Murad zu ihr, „weit entfernt, zu fliehen oder mich zu verbergen, will ich
vielmehr den Blicken des Geistes Trotz bieten, und ich hoffe sogar, Euch zu
befreien und ihn zu vernichten, denn der Prophet wird mit mir sein, der über
kurz oder lang die Bösen bestraft. Aber die Zeit drängt: Geruht, mich nach dem
Wohnzimmer Eures Gemahls zu führen.“

Aischah, die seinen Entschluss nicht zu erschüttern
vermochte, tat, was er begehre: Er öffnete ohne Mühe die Türe mit dem
Talisman, welchen der Riese ihm gegeben hatte; und als er nach einigem Suchen
die Schachtel fand, bemächtige er sich derselben.