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713. Nacht

Drei Jahre verstrichen auf diese Weise. Chansad war in
Verzweiflung, dass er durch seine Befolgung des letzten Willens seines Vaters
den Verlust seiner Schwester verursacht hatte, und fasste endlich den Vorsatz,
wegzureisen und nicht eher in seine Staaten wieder zurückzukehren, als bis er
seine Schwester wieder gefunden hätte. Er teilte diesen Entschluss seiner Mutter
mit, welche in Tränen zerschmolz und ausrief:

„O mein Sohn, verlass mich nicht! Schon habe ich
meine gute Tochter verloren, und eine traurige Vorahnung sagt mir: Wenn Du mich
verlässt, so wird der Engel des Todes das Licht meines Lebens ausgelöscht
haben, bevor Du heimkehrst. Und kannst du übrigens auch die Verwaltung Deines
Reiches aufgeben? Willst Du Deinem Bruder, der noch so jung ist, oder Deiner von
Alter, Schwachheit und Leiden gebeugten Mutter die Sorge überlassen, Deine
weitläufigen Staaten zu regieren und sie gegen Deine Feinde zu
verteidigen?“

Chansad bestand ungeachtet der Verzweiflung seiner Mutter
auf seinem Entschluss: Er ließ seinen Großwesir rufen, befahl ihm, in allem
den Befehlen der Königin zu gehorchen, der er die Regierung übergab; und da er
nicht gekannt sein wollte, so reiste er allein auf einem guten Pferd hinweg und
erreichte bald die Grenzen seiner Staaten.

Der Sultan reiste auf diese Weise mehrere Jahre. Er hatte
schon viele Reiche durchzogen und überall vergebens nach seiner Schwester
Aischah geforscht, als er eines Tages an eine Wüste kam, welche er auch zu
durchsuchen beschloss. Nachdem er zwei Tage durch den glühenden Sand geritten
war, ohne einen Tropfen Wasser zu finden, um den brennenden Durst zu stillen,
der ihn verzehrte, da erblickte er in der Ferne einen Berg, nach welchem er
seinen Weg richtete. Aber er verlor bald die Hoffnung, ihn zu erreichen. Sein
Pferd war durch die Anstrengung einer so mühseligen Reise dermaßen erschöpft,
dass es keinen Schritt mehr vorwärts tun konnte. Es stürzte auf den Sand hin
und verschied bald danach.

Chansad, der nun gezwungen war, zu Fuß zu gehen, und
seinen nahen Tod vor Augen sah, ließ jedoch seinen Mut nicht sinken, und am
Abend desselben Tages befand er sich nahe bei dem Berg, an dessen Fuß er die
Hütte eines Derwisches entdeckte. Dieser Anblick verstärkte seine Kräfte, er
schritt bis an die Türe des Einsiedlers, wo er ohne Bewusstsein hinsank.

Der Derwisch trat sogleich heraus, und als er einen
Menschen dem Verscheiden nahe sah, so kam er ihm zu Hilfe, wodurch er bald
wieder ins Leben gerufen wurde. Er führte ihn hierauf in seine Behausung und
setzte ihm trockene Früchte und Kamelmilch vor. Als der Sultan gegessen hatte,
lud der Derwisch ihn zu ruhen ein. Er breitete eine wollene Decke auf dem Boden
aus, auf welcher Chansad bis an den Morgen schlief.

Nachdem er die Abwaschung verrichtet und einige Verse des
Korans hergebetet hatte, ließ der Derwisch seinen Gast neben sich sitzen,
drückte ihm die Hand und sprach zu ihm:

„Junger Mann, Ihr habt sehr unrecht getan, die Reise
zu unternehmen, welche Ihr gemacht habt. Ihr hättet die weisen Vorstellungen
Eurer Mutter hören, auf Eurem Thron bleiben und die von unserm großen Gott
Euch anvertrauten Völker nicht verlassen sollen.“

Der Sultan war überrascht, so wohl gekannt zu sein, und
saß bestürzt da. Der Derwisch fuhr fort:

„Ich weiß die Ursache Eurer Reise, und ich kann Euch
von nun an den Ausgang derselben verkündigen: Ihr werden Eure Schwester
wieder finden, aber nur auf drei Tage; und durch die Bosheit eines Geistes wird
es Euch lange Zeit unmöglich sein, in Eure Staaten heimzukehren. Wenn Ihr
jedoch den Rat befolgen wollt, welchen ich Euch noch geben will, so hoffe ich,
dass Ihr das Unglück vermeiden könnt, von welchem ich soeben gesprochen habe.
Aber dann müsst Ihr auf die Hoffnung verzichten, Eure Schwester zu befreien:
Bleibt einige Tage bei mir. Die Karawane von Balsora muss bald hier
vorbeiziehen, mit dieser könnt Ihr nach Bagdad reisen und von dort in Eure
Staaten heimkehren. Ich empfehle Euch aber vor allem, Euch nicht weiter als
zweitausend Schritte von meiner Wohnung zu entfernen, bis die Karawane von
Balsora angelangt ist.“

Der Sultan dankte dem Derwisch und versprach ihm, seinen
Rat zu befolgen.