Project Description

7. Nacht

Gegen das Ende der siebenten Nacht bat
Dinarsade die Sultanin, die Geschichte weiter zu erzählen, welche sie gestern
nicht hatte vollenden können.

„Ich will es gern tun,“ antwortete
Scheherasade; „und um den Faden derselben wieder aufzunehmen, sage ich
euch, dass der Greis mit den beiden schwarzen Hunden fort fuhr, dem Geiste, so
wie den beiden anderen Greisen und dem Kaufmanne, seine Geschichte zu
erzählen.“

„Endlich,“ sagte er zu ihnen,
„nach einer Schifffahrt von zwei Monaten, gelangten wir glücklich in einen
Seehafen, wo wir ausschifften, und einen starken Absatz unserer Waren machten.
Vor allen ich, ich verkaufte die meinen so gut, dass ich Zehn für Eins gewann.
Wir kauften dagegen Waren des Landes, um sie nach dem unsrigen zu verschiffen
und dort zu verkaufen.

Als wir schon bereit waren, uns zur Heimfahrt
einzuschiffen, begegnete ich am Ufer des Meeres einer Frau, die recht
wohl gebildet, aber sehr armselig gekleidet war. Sie kam auf mich zu, küsste mir
die Hand, und bat mit den dringendsten Worten, sie zur Frau zu nehmen und mit
mir einzuschiffen. Ich machte Schwierigkeiten, ihr diese Bitte zu gewähren;
aber sie sagte mir so viel vor, um mich zu überreden, ich möchte nicht auf
ihre Armut sehen, und ich würde Ursache haben, mit ihrer Aufführung zufrieden
zu sein, dass ich endlich besiegt wurde. Ich ließ ihr anständige Kleider
machen; und nachdem ich sie durch einen Ehevertrag in aller Form geheiratet
hatte, schiffte sie mit mir ein, und wir gingen unter Segel1).

Während unserer Seefahrt entdeckte ich in
meiner Neuvermählten so viele schöne Eigenschaften, dass ich sie täglich mehr
und mehr liebte. Meine Brüder indessen, welche nicht so gute Geschäfte gemacht
hatten, als ich, und neidisch über mein Glück waren, trugen mir Hass. Ihre Wut
ging sogar so weit, einen Anschlag gegen mein Leben zu machen. In einer Nacht,
während ich mit meiner Frau ruhig schief, nahmen sie uns, und warfen uns ins
Meer.

Meine Frau war eine Fee, und folglich aus dem
Geistergeschlecht; ihr könnt also wohl denken, dass sie nicht ertrank. Was mich
betrifft, so wäre ich ohne ihre Hülfe gewiss umgekommen; ich war aber kaum ins
Wasser gefallen, als sie mich aufhob und mich auf eine Insel brachte.

Als es Tag wurde, sagte die Fee zu mir:
„Du siehst, mein lieber Mann, dass ich, indem ich dir das Leben gerettet,
dir die Güte, welche du mir bewiesen hast, nicht übel vergolten habe. Du
sollst wissen, dass ich Fee bin, und dass ich, als ich dich am Ufer des Meeres
bei deiner Einschiffung sah, eine starke Neigung für dich fühlte. Ich wollte
die Güte deines Herzens prüfen, und stellte mich dir so verkleidet dar, wie du
mich gesehen hast. Du hast dich großmütig gegen mich betragen; und ich bin
erfreut, eine Gelegenheit gefunden zu haben, dir meine Erkenntlichkeit dafür zu
beweisen. Aber ich bin erzürnt auf deine Brüder, und ich werde nicht zufrieden
sein, als bis ich sie am Leben gestraft habe.“

Mit Verwunderung hörte ich diese Rede der
Fee an; ich dankte ihr von ganzem Herzen für die große Wohltat, welche sie mir
erwiesen hatte: „Aber Herrin,“ sagte ich zu ihr, „was meine
Brüder betrifft, so bitte ich euch, ihnen zu verzeihen. Wie sehr ich auch
Ursache habe, mich über sie zu beklagen, so bin ich doch nicht grausam genug,
um ihr Verderben zu wollen.“ Ich erzählte ihr darauf, was ich für den
einen, wie für den andern getan hatte; und mein Bericht vermehrte noch ihren
Unwillen gegen sie. „Ich muss,“ rief sie aus, „auf der Stelle
diesen undankbaren Verrätern nachfliegen, und schleunige Rache an ihnen nehmen.
Ich will ihr Schiff versenken und sie in den Grund des Meeres stürzen.“ –
„Nein, Herrin,“ erwiderte ich, „im Namen Gottes, tut das nicht,
sondern mäßigt Euren Zorn; bedenkt, dass es meine Brüder sind, und dass man
Böses mit Gutem vergelten soll.“

Ich besänftigte die Fee durch diese Worte;
und nachdem ich also gesprochen hatte, versetzte sie mich, in einem Augenblick,
von der Insel, wo wir waren, auf das flache Dach meines Hauses, und gleich
darauf verschwand sie. Ich stieg hinunter, öffnete die Türen, und grub die
drei tausend Zeckinen aus, welche ich vergraben hatte. Darauf ging ich nach dem
Orte, wo mein Laden stand; ich öffnete ihn, und empfing von den Kaufleuten,
meinen Nachbarn, die Glückwünsche über meine Heimkehr.

Als ich wieder nach Hause kam, fand ich diese
beiden schwarzen Hunde, welche mir demütig entgegen kamen. Ich wusste nicht,
was das zu bedeuten hätte, und war sehr verwundert darüber; aber die Fee,
welche alsbald erschien, erklärte es mir. „Mein Gemahl,“ sagte sie zu
mir, „verwundere dich nicht, diese zwei Hunde bei dir zu sehen; es sind
deine beiden Brüder.“ Ich entsetzte mich bei diesen Worten, und fragte
sie, durch wessen Macht sie sich in diesem Zustande befänden. „Ich bin
es,“ antwortete sie mir, „die sie darein versetzt hat; oder wenigstens
ist eine von meinen Schwestern, der ich den Auftrag dazu gegeben habe, und
welche zu gleicher Zeit ihr Schiff auf den Grund gestürzt hat. Du verlierst
dabei die Waren, welche du darauf hattest, aber ich will dich hinlänglich
dafür entschädigen. Was deine Brüder angeht, so habe ich sie verdammt, zehn
Jahre lang in dieser Gestalt zu bleiben: Ihre Treulosigkeit macht sie dieser
Strafe nur zu würdig.“ Endlich, nachdem sie mich unterrichtet hatte, wo
ich ferner von ihr vernehmen könnte, verschwand sie.

Gegenwärtig, da die zehn Jahre voll sind,
bin ich auf dem Wege, sie zu suchen, und da ich im Vorbeigehen diesen Kaufmann
und den guten Greis mit der Hinde hier antraf, verweilte ich bei ihnen. Da hast
du nun meine Geschichte, o Fürst der Geister; scheint sie Dir nicht eine der
außerordentlichsten?“

„Ich gebe es zu,“ antwortete der
Geist, „und ich erlasse deshalb auch das zweite Drittheil des Verbrechens,
dessen der Kaufmann sich gegen mich schuldig gemacht hat.“

Sobald der zweite Greis seine Geschichte
beendigt hatte, nahm der dritte das Wort, und tat dem Geiste dieselbe Bitte, wie
die beiden vorigen, das heißt, dem Kaufmann auch das dritte Drittheil seiner
Schuld zu erlassen, vorausgesetzt, dass die Geschichte, welche er ihm erzählen
wollte, an seltsamen Begebenheiten die beiden noch überträfe, welche er so
eben gehört hatte. Der Geist gab ihm dasselbe Versprechen, wie den beiden
andern. „Höret also,“ sprach darauf dieser Greis …

„Aber der Tag bricht an,“ sagte
Scheherasade, „und ich muss hier inne halten.“ „Meine
Schwester,“ sprach darauf Dinarsade, „ich kann mich nicht genug
verwundern über die Abenteuer, die du uns da erzählt hast.“ – „Ich
weiß noch unzählige andere,“ antwortete die Sultanin, „welche noch
viel schöner sind.“

Schachriar, neugierig, ob die Erzählung des
dritten Greises auch so angenehm wäre, als die des zweiten, verschob den Tod
der Scheherasade bis morgen.


1)
Die Leichtigkeit, womit ein Mohammedaner die Ehe auflösen kann, macht dieses
Abenteuer weniger unwahrscheinlich. Folgende sind die Vorschriften hierüber in
den Satzungen des Islam:
Ein Mann kann vier Frauen heiraten, und sie
nach Gefallen verstoßen.
Die Ehe ist verboten zwischen allen
Verwandten in gerader Linie. Auch darf man keine Ehe eingehen mit den Verwandten
einer Frau, deren Milch man gesogen, mit welcher man sich auch nur eine
unanständige Handlung erlaubt hat.
Sie ist ferner verboten, mit einer Sklavin,
einer fremden oder verstoßenen Frau, die schwanger ist, und nicht die bestimmte
Zeit ihrer Absonderung erfüllt hat.
Der Ehemann soll alle seine Frauen mit
gleicher Achtung behandeln. Wenn er ausreist, steht es ihm frei, diejenige
mitzunehmen, die er vorzieht, doch wird er besser tun, das Los entscheiden zu
lassen.
Wer sich mit einer Witwe verheiratet, soll
drei Nächte hintereinander sein Bett mit ihr teilen, einer Jungfrau gebühren
dagegen sieben Nächte.
Die Frau ist dem Mann vollkommen Gehorsam
schuldig. Sie darf ohne seine Erlaubnis nicht ausgehen, und er hat das Recht,
ihr ihren Aufenthalt anzuweisen, es sei denn, dass er ihr das Gegenteil vor der
Heirat versprochen habe.
Er kann ihr verbieten, von ihren Verwandten,
und selbst von ihren nächsten weiblichen Verwandten, Besuch anzunehmen.
Da der Zweck der Ehe die Fortpflanzung des
Menschengeschlechts ist, so wird der Mann strafbar, der ihn zu vereiteln sucht.
Ein einziges Wort des Mannes reicht hin, die
Verstoßung zu bewirken. Sobald dieses Wort ausgesprochen ist, dürfen die
Ehegatten nicht mehr beieinander wohnen.
Die Frau muss drei Monate abgesondert leben,
und während dieser Zeit steht es dem Mann frei, die Frau wieder zu nehmen, selbst
ohne ihre Einwilligung. Er darf ihr indessen während dieser Zeit nicht
beiwohnen, und wenn er es versucht, so hat die Frau das Recht, ihn zu töten
oder zu vergiften.
Sobald die Zeit der Verstoßung erfüllt ist,
kann der Mann seine Frau wiedernehmen. Es wird dann aber ein neuer Ehevertrag
erfordert. Er kann sie ebenso nach einer zweiten Verstoßung wiedernehmen. Aber
nach einer dritten Verstoßung ist es verboten, sie wieder zu heiraten, bevor
sie nicht mit einem andern Mann verheiratet gewesen ist. Dieser Zwischenmann
heißt Hulla, nämlich Auflöser des Verbotes, von halla, auflösen.