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695. Nacht

Geschichte des Kalifen von Bagdad

„Herr, der Kalif Harun Arreschyd empfing auf seinem
Thron die Huldigungen seiner Emire und Großwürdenträger: Er war den ganzen
Tag hindurch von den lästigen Feierlichkeiten ermüdet, welchen seine Größe
ihn unterwarf, und um sich zu zerstreuen, hatte er sich vorgenommen, sich mit
seinem Wesir Giafar zu verkleiden und auszugehen, um Almosen zu verteilen und
darauf zu achten, ob seine Beamten gebührend ihre Pflicht erfüllten.

Beide verließen das Innere des Palastes, und in einer
Verkleidung, welche sie unkenntlich machte, durchstrichen sie verschiedene
Straßen von Bagdad und gaben den Armen, denen sie begegneten, Almosen. Sie
hatten schon zahlreiche Wohltaten ausgespendet, als sie mitten in einer Straße
eine verschleierte Frau erblickten, welche um Almosen bat. Ihre Hand war von
äußerster Zartheit und blendender Weiße; diese auffallende Erscheinung
entging dem Kalifen nicht: Er nahm ein Goldstück und ließ es durch Giafar
reichen.

Die Frau, welche diese Spende empfing, bemerkte leicht,
dass das ihr gegebene Geldstück von ungewöhnlicher Größe und Schwere war,
und als sie die Augen darauf warf, erkannte sie, dass man ihr ein Goldstück
gereicht hatte; sie rief sogleich den Großwesir Giafar, der sich schon entfernt
hatte, zurück und sprach zu ihm:

„Herr, es ist ein Goldstück, das Ihr mir gegeben
habt: War es Eure Absicht, mich so freigebig zu beschenken?“

„Nicht mir, sondern diesem jungen Mann,“
antwortete Giafar, indem er auf den Kalifen zeigte, „habt Ihr das
empfangene Geschenk zu verdanken.“

Hierauf ließ die Unglückliche diesen fragen, ob es seine
Absicht gewesen, ihr ein solches Almosen zu reichen. Und auf die bejahende
Antwort des Kalifen flehte sie auf ihn den Segen des Himmels herab.

„Giafar,“ sprach jetzt Harun, „mache ihr
den Antrag, mich zu heiraten.“

Giafar entledigte sich dieses Auftrags. „Mein
Gefährte,“ sprach er zu ihr, „wünscht Eure Hand zu erhalten.“