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690. Nacht

Bei diesem gräulichen Anblick wäre der Sohn Ali
Dschoharis fast in Ohnmacht gefallen; aber er fühlte, dass er schon zu weit
vorwärts wäre, um sich zurückziehen zu können. „Wehe!“, rief er,
„mein elender Wirt hat mich betrogen, aber ich muss mich mit Mut
waffnen.“

Sein Schreck war nicht von langer Dauer; denn weit
entfernt, ihn übel zu empfangen, lächelte die Alte so freundlich, als sie
konnte. „Tritt näher, schöner junger Mann,“ redete sie ihn an;
„sei willkommen; in Wahrheit, seit den dreitausend Jahren, die ich lebe,
habe ich keinen so wohl gebildeten Sterblichen gesehen wie Dich: Ohne Zweifel hat
mein Enkel Dich nach unserer Wohnung gewiesen. Wart‘ einen Augenblick, mein
Vater wird gleich wiederkommen, und Du kannst von ihm die Weisungen erhalten,
welche Dir nützlich sein werden.“

In der Tat sah der Sohn Ali Dschoharis bald darauf einen
Geist eintreten, dessen Gestalt entsetzlich war. Aber weit entfernt, feindliche
Gesinnungen zu zeigen, lobte der Vater seine Tochter, dass sie den jungen Mann
so gastfreundlich aufgenommen, sobald sie erkannt, wer ihn hergeschickt hatte;
er fragte ihn nach dem Zweck seiner Reise, und als er ihn vernommen hatte, fuhr
er fort:

„Es tut mir leid um Euch, dass Ihr eine so schwierige
Aufgabe unternommen habt; denn wir können Euch dabei nicht nützlich sein, weil
wir mit den Geistern im Krieg sind, welchen die Bewachung des Vogelkrautes
aufgetragen ist.“

Nach einem ziemlich kurzen Aufenthalt nahm der junge Mann
Abschied von seinen Wirten und fragte sie nach dem Weg, welchen er nehmen
müsste; nachdem er von ihnen die nötigen Weisungen erhalten hatte, machte er
sich auf den Weg ungeachtet aller ihrer Vorstellungen, um ihm sein Unternehmen
auszureden.

Nach einigen ununterbrochenen Tagesreisen gelangte er in
ein schönes Tal nicht weit von dem Ort, wo das köstliche Vogelkraut sein
musste, welches er so lange Zeit her sucht. Er hatte großes Verlangen, sich
bald im Besitz desselben zu sehen; aber die Müdigkeit und die Pflichten der
Religion nötigten ihn, sich mit Geduld zu waffnen. Nachdem er seine
Abwaschungen und Gebete verrichtet hatte, nahm der junge Reisende etwas Nahrung
zu sich und streckte sich am Fuß des Baumes hin, welcher ihm die Mittel zu
seiner Mahlzeit hergegeben hatte. Obwohl höchst ermüdet von einer so langen
und beschwerlichen Reise, hatte er jedoch einen unruhigen Schlaf. Tausend
Traumbilder, eins immer schrecklicher als das andere, bestürmten seine
aufgeregte Einbildungskraft. Bald wähnte er, bei dem Leichenbegängnis seiner
Gattin gegenwärtig zu sein; bald sah er sich nahe daran, von einem Riesen
gefressen zu werden, und vermischte seine Wehklagen mit denen der Schlachtopfer,
welche er bluten gesehen hatte, und die er noch zu hören wähnte. Aber ein
furchtbarer Donnerschlag befreite ihn von diesen eingebildeten Gefahren, um ihm
andere ebenso furchtbare und viel wahrhaftere vor Augen zu stellen.

Als er die Augen aufschlug, wurde er geblendet von den
zuckenden Blitzen, welche ihm eine zahllose Menge von Geistern und Gespenstern
sichtbar machten, deren durchdringendes Geschrei den unverzagtesten Mut
erschüttert haben würde. Ein in der Luft verbreiteter Schwefelgeruch ließ ihn
fürchten, dass der Wetterstrahl nahe bei ihm niedergefahren wäre; und
wirklich, als er mit der Hand nach seinem Turban fasste, fand er, dass ihm
nichts davon übrig blieb als die Kappe, und er sah beim Leuchten der Blitze
sein Pferd zu Boden gestreckt. Das unglückliche Schicksal dieses treuen
Gefährten aller seiner Reisen betrübte ihn noch mehr als alle die Gefahren,
von denen er bedroht war.

Er warf sich über die Leiche dieses armen Tieres hin,
drückte dessen Kopf in seine Arme und begann zu wehklagen. „Meine schöne
Freundin,“ redete er es an, „meine treue Freundin, meine Gazelle! Du,
das einzige an meinen Leiden teilnehmende Wesen, muss ich Dich in dem Augenblick
verlieren, wo wir dem Ziel unserer Mühseligkeiten so nahe sind? Ach! Du blickst
mich nicht mehr an, Dein Augenlid hat Deinen glänzenden Augenstern verdeckt;
ich werde Dich also nie mehr auf unsere fetten Wiesen führen!“ Seufzer,
mit einem Tränenstrom vermischt, verhinderten ihn fort zu fahren, und der Name
Damaskus erstarb auf seinen zitternden Lippen.

Indessen bemühte er sich, seinen Schmerz zu überwinden;
er ergriff seinen Säbel, der am Sattel seines Pferdes befestigt war, und
schritt nach der gefährlichen Gegend hin. Je näher er kam, desto stärker
wurde das Geschrei der Geister und die Donnerschläge. Die Erde bebte unter
seinen Füßen, und er schritt in dieser tiefen Finsternis nur beim Leuchten der
Blitze vorwärts; sie dienten ihm auch, den Baum zu erkennen, an dessen Zweige
der Käfig aufgehängt war, von welchem die Geister ihm gesagt hatten. Er
streckte die Hand danach aus, als ein schmerzliches Gestöhn in sein Ohr drang:
Er wähnt, die Stimme des ihm befreundeten Geistes zu erkennen, und dreht den
Kopf um, und in demselben Augenblick haut ein Säbelhieb ihn in vier Stücke.