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662. Nacht

Diese schönen Redensarten bewegten mich nicht, sie zu
begleiten. Ich wandte im Gegenteil alle meine Beredsamkeit an, um sie von dem
Reisen abzuhalten. „Vergleiche doch,“ sagte ich zu ihr, „die
unvermeidlichen Gefahren der Reise mit den friedlichen Vergnügungen, welche wir
miteinander genießen. Du wirst unsern Vetter heiraten. Das ist ein Recht,
welches Dir zukommt.“

„O ich trete es gern an Dich ab. Ich einen Bauern
heiraten? Ein Fürst muss mein Gatte werden, oder ich bleibe ledig. Du wirst
schon sehen, was für einen Mann ich bekommen werde.“

„Mit so ehrgeizigen Absichten,“ entgegnete ich
ihr, „begreife ich wohl, dass es nicht möglich ist, sich auf ein Dorf zu
beschränken, dort sind sie freilich nicht zu erreichen. Aber bist Du gewiss,
dass Du sie erreichen wirst, wenn Du die Welt durchstreifst? Und wenn Du nun
auch wirklich den Gegenstand Diener Begierden erlangst, wirst Du deshalb
glücklicher sein? Was mich betrifft, so werde ich, mit meinem Schicksal
zufrieden, hier bleiben und Dich erwarten, sei es, um dir zu Deinem Erfolg
Glück zu wünschen, sei es, um Dich über Diene Unfälle zu trösten.“

Da sie nun daran verzweifelte, mich zur Gefährtin zu
erhalten, so zog meine Schwester Mannskleider an und reiste mit einem
zahlreichen Trupp Kamele ab, die mit ihren Ballen beladen waren. In dem
nächsten Seehafen angekommen, schiffte sie sich nach Alexandrien ein, wo sie
einen Teil der Waren verkaufte. Des anderen Teiles entledigte sie sich sehr
vorteilhaft in Kairo.

Ihr Vermögen hatte sich fast verdoppelt, und sie wollte,
ehe sie die Stadt verließ, alle die Annehmlichkeiten genießen, welche dieselbe
darbietet. Ihr Haus wurde der Tummelplatz aller Vergnügungen: Feste, Spiele,
Konzerte und Tänze folgten in ununterbrochener Reihe aufeinander. Oftmals fuhr
sie, begleitet von einer Menge junger Herren und bei dem Klang eines melodischen
Konzerts, welches Musiker auf dem Verdeck aufführten, in einem Schiff auf dem
Nil spazieren. Kurz, meine Schwester wurde in die beste Gesellschaft zugelassen,
wo man sie nur unter dem Namen des schönen Fremdlings kannte. Ihr Geist, ihre
Talente und ihre Fröhlichkeit erwarben ihr die Freundschaft aller Personen, die
sie kennen lernten, und man hielt sie für den unter angenommenen Namen die Welt
durchstreifenden Sohn irgend eines Monarchen.

Inmitten aller dieser Vergnügungen hatte meine Schwester
ihren ehrgeizigen Absichten nicht entsagt. Der Sohn eines großen Herrn aus der
Stadt gefiel ihr durch die Schönheit seines Gesichts und seine Anmut ungemein,
und sie schenkte ihm ihr Herz. Er hatte eine seinem Rang angemessene Erziehung
genossen; denn Ihr wisst, dass die ägypter der Wissenschaft hohen Wert
beimessen und die gelehrtesten Menschen auf der Welt sind. Zu dem schönen
Fremdling hatte er eine große Zuneigung gefasst. Er besuchte ihn häufig, so
dass sich zwischen ihnen eine große Vertraulichkeit entspann. Die junge Person
wollte sein Herz gewinnen und sich ihm erst im Augenblick ihrer Vereinigung
entdecken. Als sie glaubte, auf seine Eroberung zählen zu können, gab ihr ihre
erfindungsreiche Einbildungskraft einen gar seltsamen Einfall. Der junge Mann
spielte oft Schach mit ihr. Als er ihr eines Tages ein Spiel vorschlug, sagte
sie zu ihm: „Sehr gern, ich will mein ganzes Vermögen gegen Euch auf das
Spiel setzen, wenn Ihr mir nur versprecht, im Fall, dass ihr gewinnt, eine
Bedingung zu erfüllen, welche dieses versiegelte Papier enthält. Die Bedingung
ist nicht schwierig, und ich glaube, dass Sie Euch nicht missfallen wird.“

„Ich nehme die Sache auf Euer Wort an.“

Während des Spiels kam der Vater des jungen Mannes dazu,
und als man ihm die Bedingungen mitgeteilt hatte, wunderte er sich nicht mehr
über die Aufmerksamkeit der beiden Spieler. Seine erste Sorge war, sich, ohne
dass sie es merkten, des versiegelten Papiers zu bemächtigen, welches auf dem
Tisch lag. Er entsiegelte es auf eine geschickte Weise und las den Inhalt, der
folgendermaßen lautete:

„Ich überlasse Euch freiwillig mein ganzes
Vermögen, weil Ihr es gewonnen habt, unter der Bedingung, dass Ihr mein Herz
annehmt und meine Hand.“