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661. Nacht

Während ich diese Worte hersagte, richtete sich das
weibliche Kamel und sein Junges auf den Hinterbienen empor, das Haar, welches
sie bedeckte, fiel herab wie ein Kleidungsstück, ihr Rücken wurde gerade, aus
ihren gespaltenen Hufen wurden fünf Finger und Zehen von ungleicher Größe,
und ein menschliches Antlitz trat an die Stelle der Kamelschnauze.

Kaum hatte diese Verwandlung stattgefunden, als beide in
die Arme unseres Wirtes fielen, der vor Staunen und Entzücken in eine Ohnmacht
sank, aus welcher ihn jedoch geistige Wasser bald wieder zu sich brachten. Als
seine Frau bemerkte, dass sie nackt war, errötete sie, sich den Blicken zweier
junger Fremden ausgesetzt zu sehen, und ergriff die Flucht. Ihr Gatte folgte ihr
und brachte sie bald in ihren Kleidern zurück, denn er hatte nichts von den
Sachen verkauft, welche Personen angehörten, deren Verlust er so herzlich
betrauerte.

Als sie in das Zimmer zurückkamen, sahen sie das Kind auf
meinen Knien. „Wie glücklich der Knabe doch ist,“ rief die Mutter
aus, „Dass er Euch seine Erkenntlichkeit bezeigen kann! Welchen Beweis soll
ich Euch von der meinigen geben? Der mächtigste Herrscher der Erde wäre nicht
imstande, einen solchen Dienst zu belohnen.“

„Der größte Herrscher der Erde hätte die
Gastfreundschaft auf keine edlere Weise gegen uns ausüben können als Euer
Gatte,“ sagte ich zu ihr, „also waren wir früher belohnt als
nützlich. Wenn Ihr Euch jedoch gegen mich verpflichtet glaubt, so will ich Euch
ein sicheres Mittel sagen, diese Verpflichtung vollkommen zu lösen: Habt nur
die Güte, mir zu sagen, auf welche Weise Ihr in diesen elenden Zustand versetzt
worden seid, denn die Wissenschaft, welche mir die übel und deren Heilmittel
anzeigt, lässt mich deren Ursachen nicht erkennen.“

„Ich wollte das meinem Gatten in einem besonderen
Gespräch erzählen,“ sagte die Frau des Greises zu uns, „da Ihr aber
neugierig seid, mich zu hören, so will ich von früherer Zeit anfangen.

Geschichte,
welche die Frau des Greises erzählte

Ihr sollt wissen, dass wir zwei Schwestern waren. Wir
verloren unsere Eltern in früher Jugend, und als Besitzerinnen eines ziemlich
glänzenden Vermögens machte jede von uns beliebigen Gebrauch davon. Ich kaufte
mir Vieh, ein Haus und Landgüter, um mich ländlichen Beschäftigungen zu
widmen.

Meine Schwester, die von stürmischerer Gemütsart war,
sagte zu mir: „Ich werde mich hüten, Deinem Beispiel zu folgen und im
Innern meines Hauses zu bleiben, solange ich meiner Freiheit genießen kann. Ich
will all mein Geld in Waren umsetzen und die Welt durchstreifen. Vielleicht
finde ich einen Mann, der meines Herzens würdig ist. Auf jeden Fall werde ich
Geld erwerben, und wenn ich heimkehre, werden mein Vermögen und meine
Kenntnisse sich vermehrt haben.“

Ich mochte dieser Törin noch so dringlich vorstellen, wie
gefahrvoll ihr Unternehmen und wie unschicklich es für eine Frau wäre, reisen
zu wollen. Alle meine Vorstellungen waren vergebens, und sie wurde böse auf
mich.

„Warum, meine Schwester,“ sagte sie,
„könnte ein Frau, die so mutig ist wie ein Mann, nicht dieselben Reisen
unternehmen? Sind wir verpflichtet, in Unwissenheit vergraben zu bleiben trotz
unseren Anlagen zum Studium und zu den Wissenschaften?“ Hierauf begann sie
Sprüche auszukramen, welche ihren Entschluss unterstützen sollten. „Das
Wasser, welches nicht fließt,“ sagte sie zu mir, „verfault bald. –
Wenn der Löwe in seiner Höhle bliebe, würde er vor Hunger sterben. – Wenn die
Sonne unbeweglich am hohen Himmel stehen bleibe, würden wir durch Hitze
umkommen. – Die Aloe erhält nur dann ihren Wert, wenn man sie in die Ferne
bringt; denn in ihrem Vaterland gilt sie nichts und wird verachtet. – Wenn der
Pfeil nicht vom Bogen flöge, könnte er das Ziel erreichen? – Komm, komm mit
mir, es ist angenehm, täglich neue Gesichter zu sehen; und Freunde findet man
bald.“