Project Description

658. Nacht

Wir bedurften nicht weniger als acht Tage, um uns von den
Strapazen unserer Reise zu erholen. Unsere Begierde, an den Hof zu kommen, und
die Befürchtung, überlästig zu werden, bestimmten uns, unsere Abreise zu
beschleunigen. Unser ehrwürdiger Wirt wollte uns nicht fortlassen. Er war so
bescheiden gewesen, uns nicht zu fragen: „Welchen Standes seid ihr? Woher
kommt ihr? Wohin geht ihr? Wie lange bleibt ihr bei mir?“ Solche Fragen
legen die Leute aus seinem Land niemand vor. Sie würden glauben, dadurch die
erste Pflicht der Gastfreundschaft zu verletzen. – Als er uns fest entschlossen
sah, uns wieder auf den Weg zu begeben, verbreitete sich ein Ausdruck von
Traurigkeit über sein Gesicht, und er begnügte sich, uns mit bewegter Stimme
zu sagen:

„Ihr Herren, da mein Haus Euch nicht länger
gefällt, so steht es Euch frei, es zu verlassen; aber gewährt mir noch einen
Tag, das ist die einzige Gefälligkeit, um welche ich Euch bitte.“

Zugleich zeigte er uns Vorbereitungen, die er gemacht
hatte, um uns gut zu bewirten und uns zu längerem Verweilen zu bestimmen.
Dieser gute Landwirt hatte den schönsten Hammel aus seiner Herde geschlachtet,
und das tat uns ausnehmend leid, nicht bloß wegen des Aufwandes, sondern auch
weil wir eine besondere Zuneigung zu diesem Tier hatten. sein Schweif war so
groß und schwer, dass man, um ihn zu unterstützen, hinten ein Brett auf zwei
Rollen an ihn befestigte. Es würde undankbar gewesen sein, diese edle Einladung
zu verschmähen.

Das Mittagessen war zeitig fertig, und der festliche
Teppich blieb lange ausgebreitet, und auf ihm wurden die angenehmsten Getränke
in großen Fluten in Gefäße aus Kristall und vergoldetem Silber gegossen.

Die große Wohlhabenheit unseres Wirtes hatte sich
hinlänglich in der Art gezeigt, mit welcher er die Gastfreundschaft gegen uns
ausgeübt hatte; aber diese Verschwendung, dieser Aufwand setzten uns in
Erstaunen. Die junge Prinzessin betrachtete alles mit Aufmerksamkeit und wusste
nicht, was sie dabei denken und dazu sagen sollte. Unser Wirt erfreute sich sehr
an diesem Erstaunen. Er nahm uns nach der Mahlzeit bei der Hand und sagte zu
uns: „Meine Kinder, ich will, dass ihr vor Eurer Abreise mindestens den
angenehmsten Teil meiner kleinen Besitzungen kennen lernt.“

Eine prächtige Pforte öffnete sich, und wir traten in
einen ungeheuer großen Garten, der mit Fruchtbäumen und Blumen angefüllt war
und von Springbrunnen befeuchtet wurde. Von Raum zu Raum fand man dichte Lauben,
und auf den höchsten Stellen fand man dichte Lauben, und auf den höchsten
Stellen schützte man sich vor der Hitze des Tages in köstlichen Kiosken,
frisch wie die Grotten ägyptens, und von welchen man die herrlichste Aussicht
hatte. Ein köstlicher Imbiss und Erfrischungen aller Art erwarteten uns in
einem der Kioske, und während die Sklaven uns Zuckerwerk und Sorbet darboten,
richtete ich das Wort an unsern Wirt und sprach zu ihm:

„Wenn ich nicht fürchten müsste, unbescheiden zu
sein, so möchte ich Euch wohl eine Frage vorlegen.“

„Redet ohne Furcht,“ antwortete er, „aber
es sei mir erlaubt, stillzuschweigen, wenn besondere Gründe mich verhindern
sollten, Euch Genüge zu leisten.“

„Ich nehme die Bedingung an,“ erwiderte ich.
„Ich wollte Euch fragen, ob Ihr inmitten aller dieser Reichtümer nicht
eine innere Leere empfindet, da doch Eurem Glück etwas fehlt. Um es vollkommen
zu machen, müsstet Ihr es mit einer Gefährtin teilen.“ Der Greis nahm
mich seufzend bei der Hand, und Tränen stahlen sich aus seinen Augen.

„Unvorsichtiger Jüngling,“ versetzte er,
„warum mir diese schmerzliche Erinnerung zurückrufen! Ja, ich hatte eine
Gefährtin, die ich immer beweinen werde, und ein Kind, so schön, so sanft wie
seine Mutter, in welchem ich mich wieder aufleben sah. Aber sah! Wichtige
Geschäfte entfernten mich weit von meinem Vaterland. Mein Sohn war zwölf Jahre
alt, als ich abreiste, und ich fand ihn nicht wieder, als ich heimkehrte. Man
meldete mir seinen und seiner Mutter Tod. Ich habe geschworen, mich nie wieder
zu verbinden. Oh! Ich werde diesen Schwur halten. Es würde mich zu viel kosten,
wenn ich ihn bräche.“