Project Description

655. Nacht

Ich war schon mit meinem Vetter verlobt. An dem zur Feier
unserer Hochzeit bestimmten Tag ritt er durch die Stadt auf einem schönen
Pferd, begleitet von Musikanten und von Einwohnern, welche angezündete Fackeln
trugen. Männer, mit dem Säbel in der Hand und den Ellenbogen auf das Kreuz des
Pferdes gestützt, ritten ihm zur Seite. Die ganze Stadt und der ganze Palast
waren mit dieser Feierlichkeit beschäftigt, und ich hatte nur drei schwarze
Verschnittene und einige Frauen zur Wache. Auf einmal hört man ein
durchdringendes Geschrei im Nebenzimmer, und ehe ich Zeit dazu habe, nach der
Veranlassung zu fragen, sehe ich meinen schrecklichen Schwarzen erscheinen, der
mich mit einer Hand fasst und so schnell wie der Tiger, der ein Lamm raubt, mit
mir entflieht.

Nachdem er meine drei Verschnittenen ermordet und meine
Frauen in ihr Gemach eingeschlossen hatte, bedeckte er mich mit dem Schleier
einer Sklavin und setzte mich vor sich auf sein an der Pforte des Palastes
stehendes Pferd. Mehrere Reiter, die ihn it verhängtem Zügel fliehen sahen,
setzten ihm nach. Ich erkannte unter ihnen meinen Vetter; denn die Bewegung des
Pferdes hatte meine Schleier fallen machen. Mein Vetter erkannte auch mich und
strengte sich aufs neue an, um mich zu befreien. Als nun mein Räuber sich fast
eingeholt sah, band er mich über Das Kreuz seines Pferdes und wandte um, um
denen, die ihn verfolgten, standzuhalten.

Dieser unglückliche Kampf wird meinem Gedächtnis immer
gegenwärtig bleiben! Der erste Säbelhieb meines Räubers ließ das Haupt
meines Geliebten fliegen. Es rollte auf den Rasen, den es mit seinem Blut
färbte, während sein verstümmelter Rumpf, der noch fest auf dem Sattel blieb,
von dem Pferd weiter getragen wurde, bis einige Soldaten, die mutig genug waren,
ihre Prinzessin rächen zu wollen, den Toten als Preis ihrer Treue in Empfang
nahmen. Die übrigen ergriffen die Flucht, und der unerschrockene Sklave, ohne
sich mit ihrer Verfolgung aufzuhalten, nahm wieder seinen vorigen Weg.

Als wir noch einige Meilen gemacht hatten, begegneten wir
Hirten, welche an dem Ort, wo sie die Nacht zubringen wollten, Feuer anmachten.
Aber mein Räuber bemächtigte sich, nachdem er einige getötet hatte, ihrer
Stelle und ihres Mundvorrats, der in fünf Broten und einem kleinen Schlauch
Wein bestand. Da die Herde nicht fern war, so erwürgte er einen fetten Hammel
und briet ihn auf glühenden Kohlen. Eins von den Pferden jener unglücklichen
Hirten brachte diese Beute bis hierher. Diese Grotte schien ihm sehr passend, um
sich auszuruhen und das Verbrechen zu begehen, welches er im Sinn hatte. Da ich
mich entschieden weigerte, irgend eine Nahrung zu mir zu nehmen, so zwang mich
das Ungeheuer, mich neben ihn zu setzen, während er ganz allein aß.

Nach seiner Mahlzeit versuchte er es, mich durch seine
unverschämten Liebkosungen und durch seine zugleich zärtlichen und frechen
Reden zu rühren. Seien Gebärden wurden bald kühner: Ich stieß ihn zurück.
Hierauf nahm er seine Zuflucht zur Gewalt, die ihn ebenso wenig als die
Liebkosungen zum Ziel führten. Seien Wut hatte den höchsten Gipfel erreicht,
denn ich sollte eben das Schlachtopfer seines Grimmes werden, als der Engel zu
meiner Rechten Euch hierher führte, auf dass Ihr mein Befreier würdet.“

Fortsetzung
der Geschichte der Prinzessin Ameny

„Eure Abenteuer sind sehr rührend,“ sagte ich
zu der jungen Prinzessin, „und ich schätze mich glücklich, dass ich
imstande war, Euch das Leben zu retten. Diese Tat bringt mir nicht minder
Vorteil als Euch: Solange der elende Schwarze in dieser Höhle war, konnte ich
mich nicht darin ausruhen. übrigens hat er Mundvorrat mitgebracht, der mir sehr
nützlich sein wird. Hunger und Müdigkeit heilen von allen Vorurteilen. Ich
werde nicht erröten, von dem zu essen, was ein Sklave übrig gelassen hat. Die
muselmännische Religion, zu welcher ich mich bekenne, verbietet zwar,
gestohlene Lebensmittel zu essen und Wein zu trinken; aber der Koran ist in
Mekka und Medina und nicht in der Wüste im Grunde einer Höhle geschrieben
worden.“

Meine arme Gefährtin hatte sich ein wenig erholt, sie
setzte sich neben mich, und wir aßen, bis wir satt waren, das heißt, viel und
lange. Unsere Stühle und unser Tisch dienten uns zugleich als Bett: Denn wir
streckten uns auf die Erde.