Project Description

653. Nacht

Als der Tag sich neigte, nahm meine Amme mich bei der Hand
und führte mich durch Seitenwege, die ich noch nicht kannte, zu einer geheimen
Pforte des Palastes, vor welcher ich ein prächtigen Renner fand, den ich mit
Leichtigkeit bestieg. Sie drückte mir zärtlich die Hand mit dem Versprechen,
mich bald wieder zu sehen, und ich gab meinem Pferd die Sporen.

Obgleich meine gute Amme mir den Weg nach Bagdad wohl
beschrieben, ja mir ihn sogar, als ich mich in Galopp setzte, mit dem Finger
gezeigt hatte, so verirrte ich mich dennoch und beschloss, indem ich den Zügel
auf den Hals meines Pferdes fallen ließ, dieses laufen zu lassen, wohin es Lust
hatte.

Nachdem ich die Nacht und den folgenden Tag hindurch
inmitten eines großen Waldes umher geritten war, stieg ich ab; denn mein
Reisegefährte und ich, wir bedurften beide der Nahrung und Ruhe. Ich befand
mich eben in einem mit Büschen bedeckten Tal. Ich pflückte einige wilde
Früchte, als aber die Nacht herannahte, so nötigte mich die Furcht vor den
wilden Tieren, einen Zufluchtsort zu suchen, der mehr Sicherheit gewährte als
der Rasen, der mir zum Sitz diente.

Ich gewahrte von fern eine Höhle, deren mit Dornen und
Stauden bewachsener Eingang hinlänglich anzeigte, dass hier kein wildes Tier
seinen Aufenthalt hatte. Ich wandte meine Schritte nach dieser Seite, indem ich
Gott und den Propheten dankte, die ihrer Magd sichtbar Beistand leisteten, da
sie sie in die Nähe dieser Höhle leiteten. Ich bemerkte in ihrer Tiefe eine
Lampe, welche zwei Personen erleuchtete, die ich für ein paar verirrte Reisende
hielt. Ich fürchtete zugleich, dass hier wohl der Zufluchtsort irgend eines
übeltäters sein könnte, und fühlte, dass ich mit großer Vorsicht verfahren
müsste.

Nachdem ich mein Pferd beim Fuß an einen Baum gebunden
hatte, nahm ich meinen Bogen und meine Pfeile und ging mit langsamen Schritten
auf das Licht zu. In einer kleinen Entfernung davon versperrten mir zwei mit den
Zügeln zusammengebundene Pferde so den Weg, dass ich nicht wusste, auf welcher
Seite ich vorbei sollte. Indem ich rechts und links Untersuchungen anstellte,
fand ich kein anderes Mittel, als mich bis an diese Pferde zu nähern. Man
konnte, ohne gesehen zu werden, unter ihrem Bauch durchsehen und so alles, was
in der Höhle vorging, gewahren. Wie groß war mein Schrecken und mein
Erstaunen, als ich, indem ich mich nieder bückte, bei dem schwachen Licht der
Lampe eine junge Frau bemerkte, welche sich in den Armen eines Sklaven
sträubte, der so schwarz wie die mich umgebende Finsternis, von riesenhaftem
Wuchs und schrecklichem Ansehen war. Man sollte ihn für den Bastard irgend
eines bösen Geistes gehalten haben. Die Leidenschaft, die ihn hinriss, machte
ihn noch scheußlicher. Seine schwarzen und sehnigen Fäuste drückten die
zarten Arme der jungen Frau, und er rief gotteslästerlich:

„Wenn Du Dich nicht meinen Begierden hingibst, so
werde ich Dich in kleine Stücke zerschneiden.“

„Nichtswürdiger Bösewicht, glaubst Du, dass mir
mehr an meinem Leben als an meiner Ehre gelegen ist?“, erwiderte ihm die
junge Frau, indem sie aus allen Kräften kämpfte. „Konntest Du Dir
einbilden, meiner Person leichter zu genießen, indem Du mich aus meinen Staaten
entführst? Seit wann gehorcht die Herrin ihrem Sklaven? Hast Du vergessen, dass
Du der meinige bist? Mit welchem Recht wagst Du es, Deine verwegene Hand an die
Tochter Deines Königs zu legen?“

„Wohlan,“ erwiderte der Sklave, „bereite
Dich also zum Tod. Es gibt jetzt hier keinen anderen König als mich, da ich der
Stärkste bin. Du gehörst mir sicherer, als wenn ich Dich auf dem Basar gekauft
hätte, und Du bist gegenwärtig ganz in meiner Gewalt.“

Und da er sah, wie unbezwinglich der Starrsinn der
Prinzessin war, so fasste dieser elende Schwarze ihre Haare mit der linken Hand
und erhob seinen Säbel mit der rechten, wobei seine Augen vor Wut funkelten.