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652. Nacht

Während unsere Rosse mit dem Zügel auf dem Hals durch
das Feld flohen, schloss mich mein Bruder, statt sie zu verfolgen, zärtlich in
seine Arme und überhäufte mich mit den zärtlichsten Liebkosungen. Die Liebe
glänzte in seinen Augen; aber ich rief mir die Grundsätze meiner guten Amme
ins Gedächtnis, und ich zitterte vor dem Verbrechen, welches ich ohne diese
Erinnerung begangen hätte. Meine Geistesgegenwart leistete mir großen
Beistand, und ich fand einen Vorwand, um mich zu entfernen.

Alle meine Sinne waren lebhaft aufgeregt, und kaum war
diese Aufregung ein wenig beruhigt, als ich zu meiner Amme lief, um ihr dieses
Ereignis zu erzählen und sie zu versichern, dass es mir nicht möglich wäre,
längere Zeit zu widerstehen.

„Hört auf, Euch zu beunruhigen,“ sagte sie zu
mir, „und wenn Ihr eine gute Muselmännin seid, so werden Euch die Mittel,
welche ich Euch vorzuschlagen habe, nicht erschrecken.“

„Sprich ohne Umschweif und ohne Furcht. Ich bin zu
allem entschlossen, um meine Religion nicht zu verraten.“

„Flieht,“ rief sie aus, „flieht dieses Land
des Fluches, in welchem man in langen Zügen das Verderben wie Wasser säuft.
Hier sind Mannskleider, um Euch zu verkleiden. Ich habe einige Edelsteine zur
Bestreitung der Kosten Eurer Reise beigelegt, bis ich Euch nachkommen und mich
mit Euch vereinigen werde; denn ich muss noch einige Tage nach Eurer Abreise
hier bleiben, um diejenigen, welche man absenden wird, euch zu verfolgen und
festzuhalten, auf falsche Wege zu bringen. Wendet Eure Schritte nach Bagdad und
seid versichert, dass ich Euch in dieser Stadt oder auf dem Weg dahin einholen
werde.“

Zugleich half sie mir die Mannskleider anlegen, in denen
ich mich sehr verlegen fand. Doch meine Begierde zu fliehen hinderte mich, an
diesen Zwang und die Gefahren, denen ich Trotz bieten sollte, zu denken. Jung,
ohne Erfahrung, war ich im Begriff, eine ungeheure Reise zu unternehmen, ohne zu
wissen, welchen Weg ich einschlagen, noch wie ich bestehen sollte; und doch,
höchlich erfreut, den Verfolgungen meiner Verwandten zu entrinnen, erwartete
ich mit Ungeduld den Augenblick meiner Abreise.