Project Description

645. Nacht

Geschichte
des Sultans

„Obgleich ich heute auf dem Thron sitze, so ließ
doch meine Geburt eine so hohe Bestimmung nicht ahnen, da ich der Sohn eines
Kaufmanns aus einem Lande bin, das von diesem hier sehr weit entfernt liegt.
Mein Vater erzog mich zu seinem Geschäft und feuerte mich durch Lehre und
Beispiel an, rechtschaffen und tugendhaft zu sein. Bald nachdem ich mündig
geworden, entriss mir der Tod diesen teuren Verwandten, der mir noch in seiner
letzten Stunde Lehren für meine künftige Aufführung gab und mich ganz
besonders bat, niemals, auch in noch so dringenden und gerechten Fällen nicht,
einen Eid abzulegen. Ich versprach es ihm, und er hauchte bald nachher seinen
letzten Atem aus, indem er mich, meine Mutter und meine Schwester in tiefem
Schmerz hinterließ. Nach seinem Begräbnis nahm ich seine bedeutende
Hinterlassenschaft in Besitz, zog mich vom Handel zurück, machte alles zu barem
Geld und gab zwei Drittel davon meiner Mutter und meiner Schwester, die sich ein
hübsches Haus kauften, in welchem sie zusammen lebten. Nach einigen Wochen
machte ein Kaufmann Anspruch auf eine Summe, die, wie er behauptete, mein Vater
ihm schuldig wäre, und welche sich fast so hoch als das ganze mir von ihm
hinterlassene Vermögen belieb. Ich bat ihn, mir die Schuldverschreibung zu
zeigen; aber er sagte, dass er keine hätte, beschwor jedoch vor dem Richter die
Richtigkeit seiner Forderung. Ich zweifelte nicht an der Falschheit des
Schwures, konnte ihm aber den meinigen nicht entgegensetzten und musste ihm
daher das Geld bezahlen, was ich tat, ohne meine Mutter und Schwester deshalb in
Anspruch zu nehmen. Dieser ungerechten Forderung folgten mehrere, und da ich dem
meinem sterbenden Vater gegebenen Versprechen nicht untreu werden wollte, geriet
ich in die größte Dürftigkeit und war genötigt, mein Vaterland zu verlassen,
um zu versuchen, ob ich irgendwo anders, je ferner, je lieber, eine Anstellung
als Handlungsdiener finden könnte.