Project Description

63. Nacht

Dinarsade war in dieser Nacht nicht früher wach, als in
der vorhergegangenen, und es war beinahe Tag, als sie die Sultanin aufforderte,
ihr zu erzählen, was sich ferner in dem schönen Schloss begeben hätte.
„Das will ich dir sagen,“ entgegnete Scheherasade, und sich an den
Sultan wendend, fuhr sie fort: „Herr, der Kalender erzählte
folgendermaßen weiter:“

„Als ich mit meiner Geschichte zu Ende war, blieben
einige von den Schönen, die mir am nächsten saßen, bei mir, um mich zu
unterhalten, während andere, da sie sahen, dass es Nacht geworden war,
aufstanden, um Kerzen zu holen. Sie brachten deren eine erstaunliche Menge,
welche die Helle des Tages wundersam ersetzen; aber sie stellten sie so
symmetrisch, dass es schien, als könnte man nicht weniger wünschen.

Andere Mädchen besetzten einen Tisch mit trocknen
Früchten, Konfekt und andern zum Trinken reizenden Speisen und einen
Schanktisch mit mehreren Sorten Wein und gebrannten Wassern, und endlich
erschienen andere mit musikalischen Instrumenten. Als alles bereit war, luden
sie mich ein, mich zu Tische zu setzen. Die Mädchen setzen sich zu mir, und wir
tafelten ziemlich lange. Diejenigen, welche die Instrumente spielten und mit
ihren Stimmen begleiten sollten, standen auf, und ließen mich ein treffliches
Konzert hören. Die andern begannen eine Art von Ball, und tanzten nacheinander,
je zwei und zwei, mit der lieblichsten Anmut von der Welt.

Es war schon nach Mitternacht, als diese Ergötzlichkeiten
aufhörten. Hierauf nahm eine der Schönen das Wort und sagte zu mir: „Ihr
seid von dem Weg ermüdet, den ihr heute gemacht habt, es ist Zeit, dass ihr
euch ausruht. Euer Gemach ist bereitet, aber ehe ihr euch dorthin begebt, wählt
aus uns allen die, welche euch am besten gefällt und nehmt sie mit euch zu
Bette.“ Ich antwortete, dass ich mich wohl hüten würde, die
vorgeschlagene Wahl zu treffen, dass sie alle gleich schön, gleich geistreich
und meiner Verehrung und meiner Dienste gleich würdig wären, und dass ich
nicht die Unhöflichkeit begehen würde, eine der anderen vorzuziehen.

Dieselbe, welche zu mir gesprochen hatte, sagte: „Wir
sind vollkommen von euer Höflichkeit überzeugt, und wir merken wohl, dass die
Befürchtung, Eifersucht unter uns zu erregen, euch zurückhält; aber diese
Rücksicht hindere euch nicht; wir versichern euch, dass das Glück der von euch
Erwählten keine Eifersüchtige machen wird, denn wir sind überein gekommen,
dass wir nächtlich eine nach der andern dieselbe Ehre genießen werden, und
dass, nach Verlauf von vierzig Tagen, die Reihe wieder von vorn anfangen soll.
Wählt also frei, und verliert nicht die Zeit, die ihr der euch so nötigen Ruhe
widmen sollt.“

Ich wählte daher eine mit hübschen Gesicht, die Augen
wie Kohlen, schwarze Haare, Zähne wie Eis, und dichte Augenbrauen wie der Zweig
von Basilikum. Sie ergötzte das Auge und entzückte das Herz, wie jener Dichter
sagt:

Sie ist schmiegsam, wie die Zweige des Ban, den der
Westwind bewegt; wie reizend und anziehend ist sie, wenn sie geht!

Bei ihrem Lächeln glänzen ihre Zähne, so dass wir sie
für einen Blitzstrahl halten können, der neben Sternen leuchtet.

Von ihrem kohlschwarzen Haaren hängen Locken herunter,
die den hellen Mittag in die Wolken der Nacht hüllen; zeigt sie aber ihr
Angesicht in der Finsternis, so beleuchtet sie alles von Osten bis Westen.

Aus Irrtum vergleicht man ihren Wuchs mit dem schönsten
Zweige, und mit Unrecht ihre Augen mit denen einer Gazelle.

Wo sollte eine Gazelle ihren schönen Ausdruck hernehmen;
ihre liebenswürdige Natur ist einzig.

Ihre weiten Augen, die in der Liebe so gefährlich sind,
fesseln plötzlich den von ihr Verwundeten.

Ich fühle eine heidnische Liebe zu ihr. Kann man aber
über einen kranken Liebenden sich wundern, der seinen Glauben vergisst?

Darauf ließ man uns allein, und die übrigen begaben sich
in ihre Zimmer.

„Doch es ist Tag, mein Fürst,“ sagte
Scheherasade zum Sultan, „und Euer Majestät wird mir wohl erlauben, den
Prinzen Kalender bei seiner Schönen zu lassen.“

Schachriar antwortete nichts; aber er sagte im Aufstehen
zu sich selbst: Man muss gestehen, dass die Erzählung vollkommen schön ist;
ich würde das größte Unrecht von der Welt begehen, wenn ich mir nicht die
Frist gönnte, sie bis zu Ende zu hören.