Project Description

612. Nacht

Bei seinem Einzug in die Stadt sah Abu-Nyut das ganze
Volk in Bewegung und hörte, als er nach der Veranlassung fragte, dass man
einen Arzt hinrichten würde, der vergebens versucht hätte, einen bösen
Geist, von welchem die Prinzessin besessen wäre, auszutreiben, und dass ein
gleiches Missgeschick schon mehrere Unglückliche betroffen, welche ihre
Geschicklichkeit an der besessenen Prinzessin versucht hätten. Hierauf
eilte er zum Sultan in den Palast, warf sich vor ihm nieder und erbot sich,
den bösen Geist auszutreiben, wofür er keine andere Belohnung verlangte
als die Begnadigung des armen Arztes. Der Sultan war es zufrieden, erklärte
aber, dass, wenn Abu-Nyut den Geist nicht austriebe, er und der Arzt, als
anmaßliche Stümper in ihrer Kunst, hingerichtet werden sollten. Abu-Nyut
bat, dass die Prüfung seiner Geschicklichkeit bis zum nächsten Freitag
verschoben bleiben möchte: Eine Bitte, die er dem Sultan feierlich ans Herz
legte, damit die Gebete der Gläubigen seinen Unternehmen ein gesegnetes
sein ließen. Der Sultan willigte ein, der unglückliche Arzt wurde vom
Richtplatz in den Palast geführt, um dort, wo auch dem Abu-Nyut ein Zimmer
angewiesen wurde, aufbewahrt zu werden. Es erging nun ein Befehl durch die
ganze Stadt, den nächsten Feiertag streng zu feiern, wobei denen, die diese
Feier versäumen würden, die königliche Ungnade angedroht wurde.

Als der Freitag nun da und die ganze Stadt zum Gebet
versammelt war, bereitete Abu-Nyut den von dem bösen Geist erwähnten
Aufguss von Wermut. Er wurde in das Gemach der Prinzessin geführt, die in
schwermütigem Stumpfsinne dalag, und sprengte den Aufguss vor ihre Füße,
worauf ein lautes Gellen dicht neben ihr gehört wurde, sie sich, gleichsam
wie vom Schlaf erwachend, aufrichtete und ihre Sklavinnen rief, um ihr beim
Aufstehen und Ankleiden zu helfen. Man benachrichtigte sogleich den Sultan
von der Wiederherstellung der Prinzessin, und er kam voll Freunde, um ihre
Genesung zu sehen. Er ordnete öffentliche Freudenfeste an, ließ große
Summen unter die Armen verteilen, forderte Abu-Nyut auf, für seinen
wichtigen Dienst sich eine Belohnung zu wählen, und befahl, den
unglücklichen Arzt in Freiheit zu setzen und zu beschenken.

Abu-Nyut, den die Reize der Prinzessin bezaubert
hatten, verlangte zur Belohnung ihre Hand, worauf sich der Sultan mit seinen
Wesiren beriet, die ihm den Rat gaben, die Antwort bis zum folgenden Morgen
zu verschieben, da die Sache wohl überlegt sein wollte. Als Abu-Nyut sich
entfernt hatte, stellten die Wesire dem Sultan vor, dass der Gemahl seiner
Tochter doch mindestens ein großes Vermögen besitzen müsste; denn wenn
Abu-Nyut auch den bösen Geist ausgetrieben, so wäre er jedoch nicht
würdig, sie zu heiraten, wenn er sie nicht auf eine ihrem Rang geziemende
Weise zu unterhalten vermöchte. Sie reiten ihm daher, eine Anzahl seiner
kostbarsten Juwelen auszusuchen, sie dem Abu-Nyut zu zeigen, welche von
gleichem Wert für die Prinzessin als Heiratsgut zu verlangen und ihn nur
nach Erfüllung dieser Bedingung zum Schwiegersohn anzunehmen. Bliebe sie
jedoch unerfüllt, so müsste er für seine Dienste eine Belohnung annehmen,
die seinem Stand angemessener wäre als eine so hohe Verbindung.

Als nun Abu-Nyut am nächsten Morgen bei Hof erschien,
zeigte ihm der Sultan die Juwelen und machte ihm die mit den Wesiren
verabredete Bedingung, worauf dieser mit der größten Gleichgültigkeit auf
die glänzenden vor ihm liegenden Steine sah und dem Sultan versicherte, er
würde ihm am nächsten Tag zehn Mal so viel von noch höherem Wert und
schönerem Glanz anbieten, über welche Erklärung der ganze Hof höchlich
erstaunte, da es bekannt war, dass kein Fürst kostbarere Edelsteine
besäße als der Sultan von Mossul.

Nachdem Abu-Nyut sich dem Sultan empfohlen hatte,
begab er sich auf den Hühnermarkt, kaufte einen ganz weißen und
fleckenlosen Hahn, welchen er nach Haue trug, bis zum Aufgang des Mondes
aufbewahrte und dann mit dem Hahn auf den von dem Geist bezeichneten Berg
eilte. Dort schnitt er dem Hahn die Kehle ab, dessen Blut zu fließen
begann, als plötzlich die Erde bebte und in dem Berg eine öffnung
entstand, durch welche zu seiner großen Freude er solche Haufen
unschätzbarer Edelsteine von allen Gattungen erblickte, dass es unmöglich
ist, sie zu beschreiben. Abu-Nyut kehrte nun in die Stadt zurück, wo er
zehn Kamele, deren jedes zwei Körbe trug, holte, sie zum Berg führte, dort
mit seinem Schatz belastete und diesen, nachdem er die öffnung des Berges
wieder zugefüllt hatte, in seine Wohnung schaffte.