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609. Nacht

Nach diesem Auftritt kehrte der junge Prinz zu seinem
Vater und den andern Sultanen zurück, die ihn achtungsvoll empfingen und
neben sich sitzen ließen, worüber sein Vater erstaunte, mehr aber noch,
als jener sich zu seinen Brüdern wandte und zu ihnen sagte: „Welcher
von Euch fand zuerst die Schnur von Perlen und Smaragden?“, worauf sie
nichts antworteten und er sodann fort fuhr: „Wer von Euch tötete das
Ungeheuer und den Elefanten oder wagte es, mit starkem Gemüt in den Palast
des Sultans zu gehen und den Käfig mit dem Vogel wegzunehmen? – Als ihr
beide wie ein paar Schufte mich anfielt, beraubtet und verwundetet, hätte
ich leicht Herr über Euch werden können. Aber ich fühlte, dass die
Vorsehung eine Zeit bestimmt hätte, zu welcher über Euch und meinen
elenden Vater, der mich und meine Mutter verstoßen und uns unserer
gerechten Ansprüche beraubt hat, ein gerechtes Gericht ergehen
würde.“ Als er dies gesagt hatte, zog er seinen Säbel, drang auf
beide Prinzen ein und streckte sie beide jeden mit einem Hieb tot zu Boden.
Er hätte in seiner Wut auch seinen Vater angegriffen; aber die Sultane
hielten ihn zurück, und nachdem sie Vater und Sohn versöhnt hatten,
versprach der erstere dem letzteren, ihn zu seinem Erben und seine Mutter
wieder in ihren vorigen Rang einzusetzen. Seine Vermählung mit der dritten
Prinzessin wurde nun gefeiert, und die drei Väter der jungen Frauen,
nachdem sie an den vierzig Tage lang stattgefundenen Festlichkeiten
teilgenommen hatten, nahmen Abschied und kehrten in ihre verschiedenen
Königreiche zurück. Der alte Sultan, der sich seines Alters wegen den
Regierungssorgen nicht mehr gewachsen fühlte, übertrug die Herrschaft
seinem Sohn, welchen das von seiner Tapferkeit und Klugheit eingenommene
Volk willig als Herrscher anerkannte.

Einige Zeit, nachdem er zum Königtum gelangt war,
verließ er, nur von einigen ausgewählten Hofleuten begleitet und ohne die
lästigen Anhängsel seines Ranges, die Hauptstadt, um sich auf eine Jagd zu
begeben. Als er nun jagend über eine wüste Ebene kam, gelangte er auf
einen Fleck, und dem sich die öffnung einer Höhle befand, in welche er
hinein trat und in der Höhle Hausgerät und andere Zeichen ihres
Bewohntseins fand, aber niemand war darin.

Seine Neugier war gereizt, er beschloss, die
Erscheinung der Bewohner der Höhle abzuwarten, und befahl seinen
Begleitern, seinen Rang nicht zu verraten. Er hatte noch nicht lange
gewartet, als ein Mann, mit Mundvorrat beladen, kam. Als derselbe an den
Eingang der Höhle gelangt war, sagte der Sultan zu ihm: „Woher kommst
Du, wohin gehst Du, und was trägst Du?“ – „Ich bin,“
versetzte der Mann, „einer von den drei Genossen, welche diese Höhle
bewohnen. Wir sind aus der Stadt entflohen, um der Gefangennehmung zu
entgehen, mit welcher wir einiger schlimmen Streiche wegen uns bedroht
sahen, und alle zehn Tage geht einer von uns, um Mundvorrat einzukaufen:
Heute ist die Reihe an mir, und meine Freunde werden gleich hier sein.
Bleibt diese Nacht bei uns, und Ihr werdet sehen, dass wir ein lustiges
Leben führen.“

Der Sultan nahm mit Vergnügen diesen Vorschlag an und
sandte sogleich seine Begleiter mit Ausnahme einiger weniger mit dem Befehl
ab, aus der Stadt allerlei Bedürfnisse für die Nacht zu holen. Er blieb
mit seinen einigen Begleitern in der Höhle, und bald nachher kamen ihre
andern beiden Bewohner, denen sehr bald die Boten des Sultans mit allem zu
einer guten Mahlzeit Nötigen folgten, an welcher alle ohne Umstände
teilnahmen.

Als die Nacht vorbei war, machte der Sultan seinen
Wirten, deren Lustigkeit und Verstand ihm sehr behagt hatte, den Vorschlag,
sie mit in die Stadt zu nehmen. „Wie,“ riefen sie aus, „Ihr
wollt uns an den Ort bringen, aus dem wir entwischt sind, um unsere Freiheit
zu retten! Wo denkt Ihr hin?“ – „Fürchtet nichts,“ sagte der
Fürst, „ich bin der Sultan, ich wollte Euch hören, um mich zu
ergötzen; und in Rücksicht des Vergnügens, das ihr mir gewährt habt,
verzeihe ich Euch!“ Bei diesen Worten verneigten sie sich tief vor
ihrem Oberherrn und schworen ihm Gehorsam. Sie verließen ihre Höhle und
folgten dem Sultan in seinen Palast. Ihre Unterhaltung schien ihn sehr zu
ergötzen, und er ließ sie vor sich kommen, damit sie ihm lustige oder
erstaunliche Abenteuer erzählen, und als sie eines Abends beisammen waren,
gab einer folgende Geschichte zum besten: