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607. Nacht

Der Anführer, der ihn im Besitz des ihm bekannten Vogels
sah, gewährte ihm sogleich seine Bitte, indem er zu sich selbst sagte:
„Dieser Jüngling muss ein Günstling des Himmels sein, oder er hätte
nicht den Preis erhalten können, um welchen so viele mächtige Sultane, Prinzen
und Wesire als Opfer gefallen sind.“ Er bewirtete ihn gastfreundlich, legte
ihm jedoch keine Fragen vor, entließ ihn am Morgen mit Gebeten für sein Wohl
und schenkte ihm ein schönes Pferd. Aladdin dankte seinem großmütigen Wirt,
nahm Abschied und ritt, ohne anzuhalten, bis er seines Vaters Hauptstadt
ansichtig wurde. Auf der Ebene wurde er aufs neue von seinen Brüdern
angefallen, die von ihrer erfolglosen Reise heimkehrten und, da sie den
glänzenden Käfig mit dem Vogel in seinen Händen sahen, ihn plötzlich vom
Pferd rissen, schrecklich zerschlugen und ihn so liegen ließen. Sie kamen in
die Stadt, überreichten ihrem Vater den Käfig mit einer erlogenen Erzählung
von Gefahr und Entrinnung, nach deren Anhörung der Sultan sie mit Lobsprüchen
überhäufte, während der arme Aladdin sich zerbläut und schwermütig zu
seiner Mutter begab.

Er erzählte dieser sein Abenteuer, beklagte sich
bitterlich über seinen Verlust und gab seinen Entschluss zu erkennen, dass er
sich an seinen neidischen Brüdern rächen wollte. Sie tröstete ihn, bat ihn,
geduldig zu sein und Allah nicht vorzugreifen, der zur rechten Zeit seine Gewalt
und Gerechtigkeit schon handhaben würde.

Wir kehren nun zu der Prinzessin zurück, die ihren Vogel
verloren hatte.

Als sie morgens aufwachte und ihren Vogel vermisste, war
sie sehr bestürzt, noch bestürzter aber, als sie die Schrift in ihrer Hand
las. Sie schrie laut auf. Ihre herbeigekommen Frauen, die sie in einem sinnlosen
Zustand fanden, holten den Sultan, dem sie, als sie sich etwas erholt hatte, den
Verlust ihres Vogels erzählte, ihm ihre Hand zeigte und erklärte, dass sie
niemand als den, der sie schlafend gesehen, heiraten wollte. Der Sultan, der es
unnütz fand, Gegenvorstellungen zu machen, willigte darein, seine Tochter bei
der Aufsuchung des Prinzen zu begleiten, und befahl seinem Heer, sich zu einem
Zug nach Yemen zu bereiten.

Als die Truppen versammelt waren, führte der Sultan seine
Tochter in das Lager und brach am folgenden Tag auf. Die Prinzessin und ihre
Frauen wurden in prächtigen Tacht-rewans getragen. sie rasteten nicht, bis das
Heer nahe bei jener Stadt war, bei welcher Aladdin die Tochter des Sultans durch
Besiegung eines Elefanten vom Tod gerettet hatte. Ein Gesandter, der abgeschickt
wurde, um die Erlaubnis nachzusuchen, ein Lager aufschlagen und Mundvorrat
einkaufen zu dürfen, fand eine freundliche und ehrenvolle Aufnahme, und der
Sultan der Stadt besuchte mit großem Pomp seinen fürstlichen Bruder, der ihn
von der Ursache seines Zuges benachrichtigte. Dies überzeugte den andern
Sultan, dass der Räuber des Vogels auch zugleich der Retter seiner Tochter
wäre, und er beschloss, mitzuziehen. Demnach bewegten sich nach dreitägigen
Festen und Ergötzlichkeiten die beiden Sultane mit beiden Prinzessinnen und den
vereinigten Heeren auf Yemen zu. Ihr Weg führte sie durch die Hauptstadt, deren
Sultanstochter Aladdin von den Klauen des Ungeheuers errettet hatte.

Bei der Ankunft der Verbündeten vor dieser Stadt wurde
auf gleiche Weise, wie oben erzählt, unterhandelt. Der dritte Sultan beschloss,
sie in der Aufsuchung seines Tochtermannes zu begleiten, und die Prinzessin
vereinigte sich willig mit den beiden andern. Sie zogen weiter, und auf dem Weg
wurde die Prinzessin, welche den Vogel verloren hatte, von den andern
vollständig von der Schönheit, Tapferkeit und männlichen Stärke Aladdins
unterrichtet, was sie nur noch begieriger machte, ihn zu finden. Endlich, nach
fortgesetzten und ununterbrochenen Märschen, erreichten die drei Sultane Yemen
und schlugen gegen Sonnenuntergang ihre Lager auf einer grünen,
wohl bewässerten Ebene in der Nähe der Hauptstadt auf.

Der Sultan von Yemen sah mit großer Unruhe und Besorgnis
ein so zahlreiches Heer so nahe an seiner Hauptstadt gelagert, aber verbarg
seine Furcht und gab alle nötigen Befehle, um die Stadt vor einem nächtlichen
überfall zu sichern. Am Morgen wurde er beruhigt, als die verbündeten Sultane
einen Gesandten mit reichen Geschenken, mit Versicherungen, dass sie keine
feindlichen Absichten hegten, und mit der Bitte, er möchte sie in ihrem Lager
besuchen und es mit den nötigen Bedürfnissen versehen, an ihn absandten. Der
Sultan nahm die Einladung an, und als das Gefolge in Bereitschaft war, so kam
er, von allen Hofleuten in ihrer höchsten Pracht begleitet, in das Lager, wo er
mit den ihm gebührenden Ehrenbezeigungen aufgenommen wurde. Die drei Sultane
waren ihm bis zu den Vorposten entgegengegangen, und nach den gewöhnlichen
Begrüßungsfeierlichkeiten geleiteten sie ihn in ein prächtiges Zelt aus rotem
Samt, dessen Fransen und Stricke von Goldfäden, die Pflöcke von gediegenem
Silber waren, und dessen Futter aus einem Silberstoff bestand, der mit seidenen
Blumen von allen Farben in erhabener Arbeit, mit Goldfolie untermischt,
durchwirkt war. Der Boden war mit prächtigen Teppichen bedeckt, und auf einer
mit Goldbrokat belegten Erhöhung am oberen Ende standen vier Diwane, deren
Decken und Kissen über alle Beschreibung prachtvoll waren, da sie aus
persischem Samt, mit kostbaren Perlen besetzt und beblümt, bestanden.