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601. Nacht

Der
Sultan und der Reisende Mahmud Alhyamen

Es lebte einst ein Sultan, der, als er eines Abends sehr
niedergeschlagen war, nach seinem Wesir schickte und zu ihm sagte: „Ich
weiß nicht, warum mein Gemüt so traurig ist, und es fehlt mir etwas, was mich
ergötzen könnte.“ – „Ich habe einen Freund,“ versetzte der
Wesir, „der viel Seltsames erlebt hat und eine Menge erstaunlicher
Geschichten zu erzählen weiß. Soll ich ihn rufen lassen?“ – „So bald
als möglich,“ antwortete der Sultan. Der Minister ging und benachrichtete
seinen Freund, dass der Sultan ihn zu sehen wünschte. „Dein Wille ist mir
Gesetz,“ erwiderte Mahmud Alhyamen und eilte mit dem Wesir in den Palast.

Als sie dort angelangt waren, grüßte Mahmud Alhyamen auf
die dem Kalifen gebührende Weise und sagte eine poetische Anrufung für das
Heil des Sultans her, der seinen Gruß erwiderte und, nachdem er ihn zum Sitzen
genötigt hatte, zu ihm sagte: „Mahmud Alhyamen, mein Geist ist unmutig,
und da ich höre, dass Du viele seltsame Geschichten weißt, so bitte ich Dich,
mir zur Ergötzung einige zu erzählen.“

Geschichte
der drei Prinzen und des bezaubernden Vogels

„Es war einmal ein Sultan, der drei Söhne hatte. Der
älteste hatte von einem Reisenden ein sonderbares Land beschreiben gehört, in
welchem es einen Vogel namens Bülbül-al-Syak gäbe, der die Macht hätte,
alle, die sich ihm nahten, in Stein zu verwandeln. Der Prinz fasste den
Entschluss, diesen Wundervogel zu sehen, und bat seinen Vater um Erlaubnis,
reisen zu dürfen, die ihm dieser ungern erteilte, worauf er von ihm Abschied
nahm. Bei seiner Abreise nahm er einen Ring vom Finger, der einen magischen
Stein enthielt, gab ihn seinem zweiten Bruder und sagte zu ihm: „Wenn Du
fühlst, dass der Ring Dich heftig drückt, so sei versichert, dass ich mich in
rettungsloser Gefahr befinde.“ Nachdem er sich nun auf den Weg gemacht
hatte, hörte er nicht auf zu reisen, bis er den Ort erreichte, wo sich der
Käfig des Vogels befand, in welchem dieser die Nacht zuzubringen pflegte,
während er bei Tage nach Nahrung und zur Lust umher flog.

Es war die Gewohnheit des Vogels, bei Sonnenuntergang in
seinen Käfig zurückzukehren und dann, wenn er jemand erblickte, in klagendem
Ton zu sagen: „Wer wird zu einem armen Wanderer sagen: „Ruhe
aus?“ Wer wird zu einem unglücklichen Bülbül sagen: „Ruhe
aus?“, und wenn jener nun erwiderte: „Ruhe aus, armer Vogel!“, so
flog dieser sogleich über des Sprechenden Haupt, bewarf es mit etwas Erde, die
er in seinem Schnabel hatte, und der Mensch wurde sogleich in Stein verwandelt.
So erging es dem unglücklichen Prinzen.

Kaum hatte diese Verwandlung des ältesten Prinzen
stattgefunden, als der Finger des zweiten auch sogleich von dem Ring heftig
gedrückt wurde und er ausrief. „Ach, mein Bruder ist verloren! Aber ich
will reisen und nicht rasten, bis ich ihn gefunden habe!“ Vergebens
widersetzten sich der Sultan, sein Vater, und die Sultanin, seine Mutter, diesem
Vorsatz. Er reiste ab, nachdem er den Zauberring seinem jüngeren Bruder
übergeben hatte, und hörte nicht auf zu reisen, bis er den Käfig des Vogels
erreicht hatte, der ihn ebenfalls dazu brachte, die Worte: „Ruhe aus!“
auszusprechen, und dann etwas Erde auf sein Haupt streute, wodurch auch er in
Stein verwandelt wurde.

In diesem Augenblick saß der jüngste Prinz eben mit
seinem Vater bei einem Festmahl, als der Ring seinen Finger so heftig drückte,
dass er ihm viel Schmerz verursachte. Er stand auf und rief aus: „Es ist
keine andere Hilfe als bei Gott; denn sein sind wir, und zu ihm müssen wir
zurückkehren!“ Der Sultan befragte ihn um die Ursache seines Kummers,
worauf er erwiderte: „Mein Bruder ist ums Leben gekommen!“