Project Description

595. Nacht

Geschichte
des Opiumessers und seiner Frau

„Es lebte in der Nähe von Bagdad ein Mensch von
wenigem Verstand, den er noch durch häufigen und unmäßigen Gebrauch des
Opiums schwächte. Verarmt, musste er das wenige ihm übrig gebliebene Besitztum
verkaufen. Eines Tages ging er auf den Markt, um eine Kuh loszuschlagen; da sie
aber sehr schlecht genährt war, so fand sich kein Käufer dazu. Auf dem Heimweg
setzte er sich unter einen Baum, band die Kuh an einen Zweig, aß ein Stück
Brot und trank sodann einen Aufguss von Opium, den er immer bei sich führte. In
kurzem begann das Opium zu wirken, so dass es ihn des wenigen Verstandes, den er
besaß, vollends beraubte und sein Kopf mit den lächerlichsten Träumereien
angefüllt wurde. Während er so dasaß, fing eine Elster, die dort ihr Nest
hatte, zu plaudern an. Er bildete sich ein, es wäre eine menschliche Stimme,
und sagte: „Meine gute Mutter des Soliman, wollt Ihr meine Kuh
kaufen?“ Der Vogel plapperte aufs neue. „Wohlan,“ sagte er,
„was wollt Ihr geben? Wir wollen den Handel abmachen.“ Der Vogel
wiederholte sein Geplapper. „Wenn Ihr auch,“ sagte der Narr,
„Euren Geldbeutel vergessen habt, so will ich Euch doch, da ich Euch für
ein ehrliches Weib halte, die Kuh überlassen und Freitag kommen und mir das
Geld holen.“ Der Vogel plauderte wieder, was jener für Danksagungen wegen
seines Zutrauens hielt. Er ließ demnach die Kuh an den Ast gebunden stehen und
kehrte voll Freuden über den guten Handel, den er gemacht hatte, nach Hause
zurück.

Als nun seine Frau ihn fragte, was er für die Kuh
bekommen, erwiderte er, er hätte sie an eine ehrliche Frau namens Am Soliman
verkauft, die ihm versprochen, am nächsten Freitag zehn Goldstücke dafür zu
bezahlen. Die Frau war zufrieden damit, und am Freitag begab sich ihr Mann, der
wie gewöhnlich eine Dosis Opium genommen hatte, zu dem Baum und sagte, als er
den Vogel wie früher plappern hörte: „Wohlan, meine gute Mutter, habt Ihr
das Geld mitgebracht?“ Der Vogel krächzte. Da er sich nun einbildete, die
Frau, von der er träumte, wollte ihn nicht bezahlen, so wurde er böse und warf
seinen Spaten nach dem Vogel, der nun erschrocken aus seinem Nest flog und sich
in einiger Entfernung auf einen Misthaufen setzte. Er bildete sich nun ein, dass
Am Soliman von ihm verlangte, er sollte das Geld aus dem Haufen nehmen, grub
darin mit seinem Spaten und fand eine kupferne Vase, die mit Goldmünzen
angefüllt war. Diese Entdeckung überzeugte ihn von der Wahrheit dessen, was er
sich einbildete, und da er trotz seiner Verstandesschwäche doch sehr ehrlich
war, so nahm er nur zehn Goldstücke, bedeckte die Vase wieder mit dem Mist und
sagte: „Möge Allah Dich für Deine Pünktlichkeit belohnen, gute
Mutter!“, dann kehrte er heim zu seiner Frau, der er das Geld gab, indem er
ihr zugleich von dem großen Schatz erzählte, den seine Freundin Am Soliman
besäße, und wo er verborgen läge. Die Frau wartete bis zum Abend und holte
sich dann die Vase mit dem Gold, worauf ihr Mann sagte: „Es ist unredlich,
jemand, der uns so pünktlich bezahlt hat, zu berauben; und wenn Du es nicht
wieder an seinen Ort trägst, so werde ich’s der Polizei anzeigen.“

Die Frau lachte über seine Torheit; da sie jedoch
fürchtete, er möchte seine Drohung ausführen, so ersann sie eine List, um das
abzuwenden. Sie ging auf den Markt, kaufte einige gekochte Fleischspeisen und
zubereitete Fische, trug das Essen heim und verbarg es. Als der Mann am Abend
sein Opium zu sich genommen, legte er sich nieder, um seinen Rausch zu
verschlafen; aber um Mitternacht streute sie die geholten Speisen vor die Türe
und rief, ihren Gatten weckend, mit scheinbarem Erstaunen: „Lieber Mann, es
hat sich etwas höchst Wundervolles begeben: Während Du schliefst, erhob sich
ein mächtiger Sturm, und es hat gekochtes Fleisch und gekochte Fische geregnet,
die vor der Türe liegen.“ Der Mann, der von dem Opium noch in einer Art
von Betäubung war, stand auf, ging vor die Tür und war, als er die Speisen
liegen sah, von der Wahrhaftigkeit seiner Frau überzeugt. Er las Fleisch und
Fisch von der Erde auf und verzehrte es mit vieler Freude, drohte aber doch noch
seiner Frau, bei der Polizei zu melden, dass sie den Schatz der alten Frau Am
Soliman gestohlen hätte.

Am Morgen erfüllte der törichte Mann wirklich diese
Drohung. Der Polizeibeamte ließ die Frau vor sich kommen, welche leugnete, bis
ihr mit dem Tod gedroht wurde. Sie sagte hierauf: „Herr, die Gewalt ist in
Euren Händen. Ich aber bin ein unglückliches Weib, und wenn Ihr meinen Mann
verhört, werdet Ihr bald merken, dass sein Gehirn zerrüttet ist. Fragt ihn
nur, wann ich den Diebstahl begangen habe.“ Der Polizeibeamte tat es,
worauf der blödsinnige Mann versetzte: „Es war in der Nacht, in welcher es
gekochtes Fleisch und gekochte Fische regnete.“ – „Elender,“
sagte der Beamte, „wie kannst Du solch eine unsinnige Lüge vor mir
behaupten! Wann hat es je etwas anderes geregnet als Wasser?“ – „Bei
meinem Leben,“ sagte der Opiumesser, „ich rede die Wahrheit, denn ich
und meine Frau, wir aßen von dem Fleisch und von den Fischen, welche aus den
Wolken gefallen waren.“ Die Frau leugnete die Behauptung ihres Mannes.

Da der Beamte nun überzeugt war, dass der Mann toll
wäre, ließ er die Frau gehen und den Mann ins Tollhaus sperren, wo er einige
Tage blieb, bis die Frau, die mit seiner Lage Mitleid hatte, ihn durch folgende
List befreite. Sie besuchte ihren Mann und sagte ihm, wenn jemand ihn fragen
würde, ob er hätte Fleisch und Fische regnen sehen, sollte er nur sagen:
„Nein, wer hat jemals etwas anderes regnen sehen als Wasser!“ Sie
sagte nun dem Aufseher, er wäre wieder bei Sinnen, und bat ihn, ihm die besagte
Frage vorzulegen. Als er vernünftig antwortete, kam er in Freiheit.“