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589. Nacht

Es fügte sich, dass der Kadi am Tag ihrer Ankunft eben
auf seinem Maulesel spazieren ritt und ihr auf dem Weg nach der Stadt begegnete.
Ihre Schönheit und ihr Anstand fielen ihm auf, der Mund wässerte ihm, er
strich seinen Schnauzbart, ritt auf sie zu und fragte sie, woher sie käme. Sie
entgegnete: „Von hinter mir.“ – „Das weiß ich wohl,“ sagte
der Kadi, „aber aus welcher Stadt?“ – „Aus Mossul,“ sagte
das Mädchen. – „Bist Du ledig oder verheiratet?“, fuhr der Richter
fort. – „Ledig.“ – „Willst Du mich zum Mann nehmen?“ –
„Ich will Dir morgen eine Antwort geben,“ sagte das Mädchen und ritt
vorwärts nach Tripolis.

Am folgenden Morgen sandte das Mädchen von Mossul einen
Boten an den Kadi, zeigte sich bereit, ihn zu heiraten, und forderte eine
Mitgift von fünfzig Dinaren, welche er ihr trotz seinem Geiz sandte und sie in
sein Haus holen ließ. Das Eheband war geknüpft, und am Abend rief der Kadi wie
gewöhnlich seiner schwarzen Sklavin zu: Bringe das Tischtuch mit Fransen!“
Die groben Brote und die Zwiebeln wurden aufgetragen, wovon jeder sein Anteil
verzehrte; und als die Braut das ihrige mit anscheinendem Vergnügen gegessen
hatte, rief sie aus: „Allah lohne Dir dieses köstliche Mahl!“ Als der
Kadi dies hörte, freute er sich höchlich und sagte: „Allah sei gepriesen,
der mir endlich eine Frau beschert hat, die vorlieb nimmt und zufrieden
ist!“ Aber er wusste nicht, was Allah durch die sinnreiche List seiner
jungen Frau bereitet hatte.

Am folgenden Morgen begab sich der Kadi in seinen
Gerichtshof, und seine Frau besichtigte alle Zimmer des Hauses. Endlich kam sie
zu einem, welches verschlossen und stark mit Eisen verriegelt und versperrt war.
Es befand sich jedoch unten in der Türe eine Spalte von der Breite eines
Daumens und Fingers, durch welche sie sah und viele Vasen voll gemünzten Goldes
und Silbers erblickte. Sie holte sich nun eine lange Rute, an deren Spitze sie
ein Klümpchen Teig klebte, sie dann durch die Spalte steckte und damit die
Goldstücke erreichte. Durch Hin- und Herwenden der Rute blieben endlich zwei
Goldstücke daran kleben, welche sie nun durch die Spalte zog. Sie ging darauf
in ihr Zimmer zurück, rief die schwarze Sklavin, gab ihr das Geld und schickte
sie auf den Markt mit dem Auftrag, gekochtes Fleisch mit Butter, frisches Brot
und schöne Früchte zu kaufen und schnell damit wieder da zu sein. Die schwarze
Sklavin nahm das Geld und kam bald mit dem Eingekauften zurück, worauf ihre
Gebieterin sie nieder sitzen und an dem guten Mahl teilnehmen ließ. Als sie satt
waren, brachte die Sklavin Gießkanne und Becken, und beide wuschen sich, worauf
die Sklavin ihrer Gebieterin die Hände küsste und sagte: „Möge Dir es
Allah belohnen! Denn Du hast mich mit einem guten Mahl bewirtet, das ich nicht
genossen habe, seit ich diesem filzigen Kadi diene.“ Die Frau sagte:
„Gehorche nur meinen Befehlen, und Du sollst täglich ebenso gut
speisen.“ Die Sklavin versprach Gehorsam und Treue und betete zu Allah, ihr
eine so gute Gebieterin zu erhalten.

Als der Kadi mittags nach Hause kam, rief er wie
gewöhnlich nach dem Tischtuch mit Fransen. Als es aufgebreitet war, trug seine
Frau die überbleibsel von dem Eingekauften auf, und er ließ sich’s wohl
schmecken, fragte jedoch, woher die Speisen wären. Die Frau antwortete:
„Ich habe in dieser Stadt viele Verwandte, und eine davon, die meine
Herkunft erfahren, hat mir eine Mahlzeit geschickt, und ich sagte zu mir selbst:
„Wenn mein Herr, der Kadi, nach Hause kommen wird, will ich ihn
bewirten.“ Der Kadi bedankte sich. Sie zog am folgenden Tag mit Hilfe ihrer
Rute wieder drei Dinare aus dem Zimmer und bereitete eine Mahlzeit, zu welcher
sie einige Nachbarinnen einlud, die sich mit ihr erlustigten, bis ihr Mann aus
dem Gerichtshof nach Hause kam.