Project Description

586. Nacht

Der alte Sultan und die alte Sultanin beweinten den
Verlust ihrer Töchter mehrere Jahre lang, als endlich der Sultan beschloss,
eine Reise zu machen, um sie aufzusuchen, und, nachdem er seiner Frau die
Regierung übertragen hatte, allein von seinem Wesir begleitet abreiste. Sie
verkleideten sich beide als Derwische, und nach einer monatelangen
ununterbrochenen Reise erreichten sie eine große Stadt, die sich längs der
Seeküste ausdehnte, in deren Nähe der Sultan ein prächtiges Lustschloss hatte
erbauen lassen, wo die vorgeblichen Derwische ihn in einem der Pavillons mit
seinen zwei Söhnen, der eine von sechs und der andere von sieben Jahren, sitzen
sahen. Sie näherten sich, verbeugten sich und riefen nach der Weise der Mönche
den Himmel für sein Heil an. Der Sultan erwiderte ihren Gruß, forderte sie
auf, sich zu setzen, und entließ sie, nachdem er sich bis zum Abend mit ihnen
unterhalten hatte, mit einem Geschenk, worauf sie sich in einen Gasthof begaben
und ein Zimmer mieteten. Als sie sich am folgenden Tag mit Besichtigung der
Stadt ergötzt hatten, gingen sie abends wieder zur Bucht und sahen den Sultan
wie am vorigen Abend mit seinen Kindern sitzen. Während sie die Schönheit des
Baues bewunderten, kam der jüngere Prinz, von einem unwillkürlichen Antrieb
gereizt, auf sie zu, sah sie begierig an und folgte ihnen, als sie gingen, in
ihre Wohnung, was sie nicht eher bemerkten, als bis er mit ihnen ins Zimmer
getreten war und sich niedergelassen hatte. Der Alte Sultan war über das
Betragen des Kindes erstaunt, nahm es in seine Arme, küsste und hätschelte es
und sagte dann zu ihm, es möchte nur zu seinen Eltern zurückkehren; aber der
Knabe bestand darauf, zu bleiben, und blieb wirklich vier Tage, während welcher
Zeit die vorgeblichen Derwische ihre Karawanserei nicht verließen.

Der Sultan glaubte, als er seinen Sohn vermisste, er wäre
zu seiner Mutter gegangen, und diese bildete sich dagegen ein, dass er bei dem
Vater wäre: Aber als dieser in den Harem kam, wurde der Verlust entdeckt, und
Boten wurden nach allen Seiten ausgeschickt. Es kam jedoch keine Nachricht von
dem Knaben. Die Eltern setzten nun voraus, er wäre ins Meer gefallen und
ertrunken. Man fischte drei Tage lang mit Netzen, aber vergeblich. Am fünften
Tag wurden Befehle gegeben, jedes Haus in der Stadt zu durchsuchen, wo denn der
kleine Prinz endlich in der Karawanserei und in dem Zimmer der vorgeblichen
Derwische entdeckt wurde, die man nun vor den Sultan schleppte.