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579. Nacht

In der folgenden Nacht begaben sich der Sultan und sein
Wesir in der gewöhnlichen Verkleidung in das Haus der Schwestern, nahmen einige
Beutel voll Dinaren mit sich und wurden mit derselben Freundlichkeit wie das
vorige Mal aufgenommen. Als sie sich niedergelassen hatten, wurde ein Abendessen
aufgetragen und Becken und Geißkannen gebracht, um sich die Hände zu waschen.
Es wurde sodann Kaffee aufgesetzt, und sie unterhielten sich bis zur Gebetzeit
der ersten Wache, standen dann auf, verrichteten ihre Abwaschungen und beteten.
Als sie ihre Andacht vollendet hatten, überreichte der Sultan der jüngsten
Schwester einen Beutel mit tausend Dinaren und sagte: "Verwende dies zur
Befriedigung einiger Bedürfnisse nach Belieben!" Sie nahm den Beutel mit
einer tiefen Verbeugung, küsste dem Sultan die Hand und war nun überzeugt,
dass ihre Vermutung seines Standes gegründet wäre, gab im geheimen ihrer
Mutter und ihren Schwestern zu verstehen, von wie hohem Rang ihre Gäste wären,
und warf sich mit ihnen vor dem Sultan nieder.

Der Sultan sagte nun beiseite zu dem Wesir: "Sicher
erkennen sie uns," und fuhr, sodann sich zu den Frauen wendend, fort:
"Wir sind bloße Derwische, und ihr erzeigt uns eine Ehre, die nur
Herrschern gebührt. Ich bitte Euch, das zu bedenken." Die jüngste
Schwester warf sich nun nochmals zu seinen Füßen und sprach folgenden Vers:

"Möge ein günstiges Glück Dich trotz der Bosheit
Deiner Neider begleiten! Mögen Deine Tage hell und die Deiner Feinde dunkel
sein!

Ich bin überzeugt, dass Du der Sultan bist, und dass
dieser Dein Wesir ist." Der Sultan erwiderte: "Was für einen Grund
hast Du zu dieser Voraussetzung?" Sie versetzte: "Euer würdevolles
Benehmen und Eure Freigebigkeit, denn die echten Zeichen des Königtums können
selbst in der Mönchskutte nicht verborgen bleiben."

Der Sultan erwiderte: "Du hast in der Tat richtig
geraten: Aber sage mir, woher es kommt, dass ihr keine männlichen Beschützer
bei Euch habt?" Sie antwortete: "Herr, unsere Geschichte ist so
wunderbar, dass sie, wäre sie auf eine eherne Tafel geschrieben, künftige
Zeiten als ein denkwürdiges Beispiel nutzen könnten." Der Sultan bat sie,
ihm die Geschichte zu erzählen, was sie nun folgendermaßen tat.

Geschichte der drei Schwestern und ihrer
Mutter, der Sultanin

"Wir sind, mein Gebieter, in einer Stadt Iraks
geboren. Unser Vater war Herrscher dieses Landes und unsere Mutter die schönste
Frau ihres Zeitalters, und zwar in so hohem Grad, dass der Ruf ihrer Schönheit
sich bis in die entferntesten Gegenden verbreitete. Es begab sich in unserer
frühen Kindheit, dass unser Vater eine große, sich weit verbreitende Jagd
anstellte, die ihn auf mehrere Monate aus seiner Hauptstadt entfernte, weshalb
er den Wesir zum Reichsverweser während dieser Zeit ernannte. Nicht lange nach
der Abreise meines Vaters schöpfte unsere Mutter auf dem Dach des Palastes, der
an den des Wesirs grenzte, frische Luft. Der Wesir saß eben auch auf der
Terrasse und sah in einem Spiegel, den er in seiner Hand heilt, das Bild meiner
Mutter. Ihre Schönheit bezauberte ihn, und er fasste den verbrecherischen
Entschluss, sie wo möglich zu verführen.

Am folgenden Tag sandte er die Oberaufseherin seines
Harems mit einem Päckchen, welches einen höchst prachtvollen Anzug und viele
unschätzbare Juwelen enthielt, zu der Sultanin mit der Bitte, das Geschenk
anzunehmen und ihm zu erlauben, dass er sie besuchen dürfte, oder dass sie ihn
durch einen Besuch erfreuen möchte. Meine Mutter empfing in der Voraussetzung,
dass sie ihr irgend eine an den Wesir gelangte Botschaft ihres Mannes brächte,
die alte Frau mit vieler Freundlichkeit.

Die Abgesandte verneigte sich ehrfurchtsvoll, öffnete ihr
Bündel und packte den Anzug und die Edelsteine aus, worauf meine Mutter nach
dem Preis und nach dem Kaufmann fragte, der sie gesendet hätte. Die elende
Alte, voraussetzend, dass die Tugend der Sultanin gegen solch ein kostbares
Geschenk nicht Stich halten würde, eröffnete ihr auf unverschämte Weise die
Leidenschaft des Wesirs. Meine Mutter, voll Unwillen über diese ihrer Ehre und
Würde angetane Beschimpfung, zog einen Säbel, der bei der Hand war, und mit
aller Kraft, die ihr zu Gebote stand, schlug sie der Kupplerin das Haupt ab und
befahl, dieses nebst den Rumpf in die Kloake des Palastes zu werfen.

Der Wesir sandte, da seine Botin nicht zurück kam, den
folgenden Tag eine zweite ab, um nachzufragen, ob das Geschenk richtig abgegeben
wäre. Meine Mutter ließ dieses elende Weib erdrosseln und mit ihrer Leiche
ebenso wie mit der ersten verfahren, machte aber des Wesirs Nichtswürdigkeit in
der Hoffnung, dass er sich bessern würde, nicht bekannt. Dieser sandte jedoch
täglich eine Dienerin ab, mit welchen Botinnen meine Mutter auf dieselbe Weise
wie mit den beiden ersten verfahren ließ: Weil sie aber den Untergang des
Wesirs nicht wollte und noch immer glaubte, er würde sein Betragen bereuen, und
weil er sonst ein treuer und kluger Minister war, hielt sie seinen Verrat vor
meinem Vater verborgen.