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571. Nacht

Der junge Liebende begab sich in das Bad und legte,
nachdem er gebadet, seine reichste Kleidung an, worauf er sich dem Ausrufer zu
erkennen gab, der ihn sogleich in den Palast des Sultans führte.

Hier verneigte er sich tief vor dem Sultan und sprach ein
Gebet für dessen Heil und langes Leben. Der Sultan war über die männliche
Schönheit, die Anmut und die Würde seiner Haltung erstaunt und sagte zu ihm:
„Junger Fremdling, wer bist Du, und woher kommst Du?“ – „Ich
bin,“ sagte der Jüngling, „der halbe Mann, den Du sahst, und habe
vollbracht, was Dir schon bekannt ist.“

Der Sultan ließ ihn nun mit sich auf den Ehrenplatz
setzen und unterhielt sich mit ihm über verschiedene Gegenstände. Er legte ihm
mehrere schwierige wissenschaftliche Fragen vor, welche der junge Mann so
richtig und treffend beantwortete, dass seine Kenntnisse ihn ganz in Erstaunen
setzten und er ihn seiner Tochter ganz würdig fand. Er sagte hierauf zu ihm:
„Junger Mann, es ist mein Wunsch, Dich mit meiner Tochter zu verbinden;
denn Du hast sowohl sie als ihre Mutter schon gesehen, und nach dem
Vorgefallenen wird niemand anders sie heiraten wollen.“ Der junge Mann
versprach zu gehorchen, doch müsste er sch zuvor mit seinen Freunden beraten.
„Tu das,“ sagte der Sultan, „und kehre schnell zurück!“

Der junge Mann begab sich zu dem Weisen, und nachdem er
ihn von dem bei dem Sultan Vorgefallenen unterrichtet hatte, gab er ihm seinen
Wunsch zu erkennen, die Prinzessin zu heiraten, worauf der Greis erwiderte:
„Tu das, mein Sohn, es kann darin nichts Sträfliches liegen, da es eine
gesetzmäßige Verbindung ist.“ – „Aber ich wünsche,“ sagte der
Jüngling, „den Sultan einzuladen, dich zu besuchen.“ – „Das soll
er tun,“ erwiderte der Weise. „Herr,“ fuhr der Schüler fort,
„seit ich zuerst zu Euch kam und Ihr mir die Ehre antatet, mich in Eure
Dienste zu nehmen, habe ich Euch in keinem andern Wohnort als in dieser
beschränkten Zelle gesehen, welche Ihr Tag und Nacht nicht verlassen habt: Wie
kann ich den Sultan einladen, hierher zu kommen?“ – „Mein Sohn,“
sagte der Greis, „Geh Du nur zum Sultan, verlass Dich auf Allah, der Wunder
wirken kann, zu wessen Besten er Lust hat, und sage jenem: „Mein Meister
grüßt Dich und bittet um Deine Gesellschaft bei einem Fest am fünften Tag
nach dem heutigen.“

Der junge Mann tat, wie ihm geheißen war, kehrte dann zu
seinem Meister zurück und wünschte sehnlich den fünften Tag herbei.

An diesem fünften Tag sagte nun der Weise zu seinem
ungeduldigen Schüler: „Wir wollen uns in unser eigenes Haus begeben,
welches wir zum Empfang des Sultans, den Du zu mir führen musst, bereiten
wollen.“

Sie standen auf und gingen, bis sie in die Mitte der Stadt
und zu einem großen Gebäude gelangten, dessen Wände in Haufen
zusammengestürzt waren. „Dies, mein Sohn,“ sagte der Weise, „ist
meine Wohnung. Eile und hole den Sultan!“ Der Schüler rief voll Erstaunen
aus: „Herr, dieser Aufenthalt ist ein Haufen von Trümmern. Wie kann ich
den Sultan hierher einladen? Welche Schande würde uns das machen!“ –
„Geh,“ erwiderte der Weise, „und fürchte die Folgen nicht.“