Project Description
561. Nacht
Geschichte des ersten Narren
"Ich war ein Kaufmann und hatte ein Gewölbe, welches
indische Waren von allen Gattungen und von dem größten Wert enthielt, die ich
mit großem Vorteil kaufte und verkaufte. Als ich nun eines Tages nach meiner
Gewohnheit in meinem Gewölbe saß, trat eine alte Frau, ihren Rosenkranz
betend, herein und grüßte mich. Ich erwiderte ihren Gruß, worauf sie sich
setzte und zu mir sagte: "Herr, habt Ihr auserlesene indische Stoffe zu
Kleidern?" – "Ja, meine gute Frau," erwiderte ich, "von
allen Gattungen, die Ihr nur wünschen könnt." – "Lasst sehen,"
sagte sie. Ich zeigte ihr ein Stück von großem Wert, das ihr sehr gefiel, und
dessen Preis sie zu wissen verlangte. Ich forderte fünfhundert Dinare dafür.
Sie zog ihren Beutel, bezahlte mir das Geld und nahm den Stoff mit, an welchem
ich hundertundfünfzig Dinare gewann. Am nächsten Tag kam sie wieder, kaufte
ein anderes Stück, bezahlte es, und so trieb sie es mit gleichem Einkauf
hintereinander. Am fünfzehnten Tag kam sie wie gewöhnlich in meinen Laden,
wählte den Stoff und wollte ihn bezahlen. Als sie jedoch ihren Geldbeutel
vermisste, sagte sie: "Herr, ich habe unglücklicherweise meinen Geldbeutel
zu Hause gelassen." – "Das schadet nichts," erwiderte ich,
"nehmt den Stoff immer mit. Kommt Ihr wieder, gut, wo nicht, so schenke ich
Euch gern diese Kleinigkeit." Ich drang noch mehr in sie, aber sie wollte
den Stoff nicht annehmen. Nach vielem freundlichen Hin- und Herreden sagte sie
endlich: "Herr, wir streiten uns vergebens, wir werden aber niemals einig
werden, wenn Ihr nicht so gut sein wollt, mich nach Hause zu begleiten, um den
Betrag Eurer Ware in Empfang zu nehmen. Verschließt also Euren Laden, damit
Euch in Eurer Abwesenheit nichts wegkomme." Hierauf verschloss ich meine
Tür und folgte ihr. Wir gingen und schwatzten miteinander, bis wir an ihr Haus
gelangten, wo sie ihr Schnupftuch von ihrem Gürtel löste und mir sagte, sie
wünschte mir die Augen zu verbinden. Ich fragte sie, weshalb. "Weil,"
erwiderte sie, "auf unserem Weg sich mehrere Häuser befinden, deren Türen
offen stehen, und auf deren Balkonen Frauen sitzen, so dass Deine Augen
zufällig auf eine dieser Schönen fallen und ihre Reize Dein Herz mit Liebe
erfüllen könnten; denn es gibt hier so reizende weibliche Geschöpfe, dass sie
einen Mönch fesseln könnten, und deshalb bin ich um Deine Ruhe besorgt."
Ich sagte zu mir selbst: "Diese alte Frau rät mir
gut," und ich willigte in ihr Begehren, worauf sie mir die Augen mit ihrem
Schnupftuch verband und wir vorwärts schritten, bis wir zu ihrem Haus
gelangten. Sie pochte an die Haustür, welche von einer Frau geöffnet wurde,
und wir traten ein. Die alte Frau band mir hierauf das Tuch ab, und ich sah mit
Erstaunen, dass ich mich in einem Haus befand, welches vollkommen dem Palast
eines Sultans glich.
Die alte Frau führte mich nun in ein Zimmer, woselbst ich
all den Stoff, welchen sie bei mir gekauft hatte, aufgehäuft fand, worüber ich
sehr erstaunte, mehr aber noch, als zwei Frauen, schön wie leuchtende Monde,
eintraten und, nachdem sie ein Stück Zeug in zwei Hälften zerteilt hatten,
jede eine Hälfte um ihre Hand wickelten. Sie besprengten hierauf den Flur mit
Rosenwasser und andern wohlriechenden Wassern und rieben ihn sodann mit dem Zeug
ab, bis er so glänzend wie Silber wurde. Hierauf begaben sie sich in an
anstoßendes Zimmer, aus welchem sie mindestens fünfzig Sessel brachten, welche
sie hinstellten und auf jeden reiche Kissen legten und reiche Teppiche
breiteten. Hierauf holten sie einen großen goldenen Sessel und entfernten sich,
als sie ihn mit einem Teppich und einem Kissen aus Goldbrokat belegt hatten.
Nicht lange nachher kamen je zwei und zwei so viele Damen, als Sessel vorhanden
waren, die Treppe herab. Jede setzte sich. Zuletzt kam eine von zehn Mädchen
begleitete Dame, die sich auf den größeren Sessel niederließ. Als ich sie
anschaute, Herr, verließen mich meine Sinne, und ich war über ihre Schönheit,
ihre Gestalt und über die Anmut, mit welcher sie mit ihren Begleiterinnen
schwatzte und lachte, ganz entzückt.
Endlich rief sie aus: "Meine liebe Mutter!",
worauf die alte Frau eintrat, zu welcher sie sagte: "Hast Du den jungen
Mann hergebracht?" Sie erwiderte: "Ja, meine Tochter, er ist bereit,
Dir aufzuwarten." Hierauf sagte die Dame: "Führe ihn zu mir!"
Als ich das hörte, erschrak ich und sagte zu mir selbst: "Hier ist keine
Rettung als Ergebung in den Willen Gottes. Ohne Zweifel hat sie mein Hiersein
entdeckt und will nun den Befehl erteilen, mich zu töten." Die alte Frau
näherte sich mir und führte mich bei der Hand zu der auf dem goldenen Sessel
sitzende Dame, die, als sie mich erblickte, lächelte, mich freundlich grüßte
und einen Wink gab, einen Sitz herzubringen, der denn auch gebracht und dicht
neben den ihrigen gestellt wurde. Sie befahl mir hierauf, mich zu setzen, was
ich mit vieler Verlegenheit tat.