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553. Nacht

Geschichte der drei Gauner und des Sultans

Drei sehr pfiffige Gauner, welche sich vereinigt hatten,
kamen in der Hoffnung, sich dadurch schnell aus der Not zu helfen, miteinander
überein, zum Sultan zu gehen und vorzugeben, ein jeder besäße irgend eine
besondere Geschicklichkeit. Sie begaben sich demnach in die Hauptstadt, fanden
aber den Zutritt zum Sultan schwierig, da er einen Gartenpalast bewohnte, der
von Wachen umgeben war, welche sie nicht in seine Nähe lassen wollten. Sie
beratschlagten miteinander und kamen überein, einen Zwist vorzugeben, in der
Hoffnung, dass ihr Geschrei die Aufmerksamkeit des Sultans auf sich ziehen
würde. Dies geschah auch. Er befahl, sie vor ihn zu bringen, und fragte, wer
sie wären, und worüber sie sich zankten. „Wir zanken uns,“ sagten
sie, „über den Vorrang unserer Betriebe: Denn jeder von uns besitzt eine
vollkommene Geschicklichkeit in dem seinigen.“ – „Was sind denn Eure
Betriebe?“, versetzte der Sultan. „Ich bin, Herr,“ sagte der
eine, „ein ausgezeichneter Steinschneider.“ – „Ich fürchte, dass
du ein ausgezeichneter Schuft bist,“ rief der Sultan aus.

„Ich bin,“ sagte der zweite Gauner, „ein
Pferdegenealogist.“ – „Und ich,“ fuhr der dritte fort, „in
Genealogist des menschlichen Geschlechts, indem ich jedermanns wahre Abkunft
kenne. Eine Kunst, die viel wunderbarer ist als die eines meiner Gefährten;
denn außer mir versteht sie niemand und hat sie niemand verstanden.“

Der Sultan war zwar erstaunt, maß jedoch ihrem Vorgeben
wenig Glauben bei und sagte bei sich selbst: „Wenn diese Leute Wahrheit
reden, so verdienen sie Aufmunterung. Ich will sie bei mir behalten, bis ich
Gelegenheit habe, sie zu prüfen: Beweisen sie dann, dass sie wirklich so
geschickt sind, als sie es vorgeben, so will ich sie befördern, wo nicht, sie
töten zu lassen.“ Er ließ jedem von ihnen ein Zimmer anweisen und ihnen
täglich Brot und Fleisch reichen, stellte aber Aufpasser an, weil er
fürchtete, dass sie entwischen möchten.

Nicht lange nachher wurden dem Sultan mehrere Seltenheiten
geschenkt, unter welchem sich zwei kostbare Steine befanden, der eine von
besonders klarem Wasser, der andere mit einem Makel. Der Sultan erinnerte sich
nun des Steinschneiders, ließ ihn vor sich kommen und gab ihm den klaren Juwel,
damit er ihn prüfen und seinen Wert schätzen sollte.

Der Gauner nahm den Stein, drehte ihn mit großem Ernst in
seinen Händen um und um und sagte endlich, nachdem er ihn von allen Seiten
betrachtet hatte: „Dieser Juwel hat gerade in seinem Mittelpunkt einen
Makel.“ Als der Sultan dies hörte, war er gegen den Gauner sehr
aufgebracht und befahl, ihm das Haupt abzuschlagen, indem er sagte: „Dieser
Stein ist tadellos, und doch behauptest Du, er habe einen Makel.“ Der
Scharfrichter trat nun vor, ergriff den Gauner, band ihn fest und war im Begriff
zuzuhauen, als der Wesir eintrat und, da er den Sultan in Wut und den Gauner
unter dem Schwert erblickte, nach der Ursache fragte. Als er diese erfahren
hatte, näherte er sich dem Sultan und sagte: „Herr, übereile Dich nicht,
sondern zerbrich erst den Stein. Sollte ein Makel darin zum Vorschein kommen, so
sind die Worte dieses Mannes wahr, wird er aber ohne Makel befunden, so lasse
ihn töten.“ Der Sultan versetzte: „Dein Rat ist gut,“ und
zerschlug den Stein mit seiner Streitaxt. In der Mitte fand er einen Makel,
über den er erstaunte, so dass er dem Gauner sagte: „wodurch konntest Du
den Makel entdecken?“