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549. Nacht

„Ach!“, antwortete die Prinzessin,
„erinnere mich nicht an ein Vergehen, welches ich schon tausend Mal bereut
habe, und wofür ich so lange und so gerecht bestraft worden bin! Verzeih mir,
teurer Gatte,“ fügte sie hinzu, indem sie sich zu seinen Füßen warf,
„und vergiss das Unrecht, welches ich allein mir unaufhörlich vorwerfen
muss.“

Asem, erwicht, hub sie auf und drückte sie an sein Herz,
zugleich mit seinen geliebten Kindern, und als die ersten Entzückungen ihrer
Freude gestillt waren, beschäftigten sich alle beide mit den Mitteln, aus
diesem ungastlichen Land zu entfliehen.

Gegen Abend öffneten sich die Türen des Gefängnisses.
Asem setzte seine Kappe wieder auf, und setzte sich unsichtbar in einen Winkel
des Turmes. Die Schließerin trat herein, und brachte der Prinzessin ihren
gewöhnlichen Unterhalt; und da sie in derselben Kammer zu schlafen pflegte, so
aß sie bei ihr zum Abend, und schlief endlich fest ein.

Asem benutzte eine so günstige Gelegenheit, näherte sich
leise der grimmigen Schießerin, und nachdem er das Schlüsselbund, welches sie
an ihrem Gürtel trug, abgelöst hatte, öffnete er behutsam die Türe des
Turmes, und zog eilig seine Gattin und seine Kinder aus dieser trübseligen
Wohnung, in welcher er die Schließer in selber verschloss. Sie machten sich
eilig hinweg, und obwohl mit ihren beiden Kindern beschwert, wanderten sie
dennoch die ganze Nacht hindurch mit solcher Schnelligkeit, dass sie bei
Sonnenaufgang schon weit von der Stadt waren.

Als die Königin die Flucht ihrer Schwester wahrnahm,
geriet sie in unbeschreiblichen Zorn. Sie rief alle Geister ihrer Bekanntschaft
zu Hilfe, die sich auch beeiferten, ihr zu gehorchen; und alsbald erhub sie sich
mit einem zahllosen Heer zur Verfolgung der Flüchtigen, ganz entschlossen, sie
in Stücke zu hauen.

Asem, auf der Flucht, war ganz erstaunt, als er sich
umsah, und hinter sich eine dicke Staubwolke erblickte. Er wurde von Schrecken
ergriffen, als er das ungeheure Heer der Königin erkannte. Schon hörte er das
Kriegsgeschrei, unterschied die Fahnen, und bei dem Blinken der feindlichen
Lanzen vermochte er weder an Verteidigung zu denken, noch schnell genug zu
entfliehen. Was konnte ihm auch sein Mut gegen ein so mächtiges Heer helfen? Er
ergriff also seine Trommel, und ließ sie gewaltig ertönen, so dass auf der
Stelle Legionen von Geistern die Ebene erfüllten, in einem Augenblick in
Schlachtordnung geschart standen, und kühn dem Heer der Königin entgegen
zogen. Hierauf erhob sich der furchtbarste Kampf, den man noch bis auf diesen
Tag gesehen hatte, denn es waren nicht Menschen, sondern alle Geister der Erde,
die gegen einander fochten. Die Streiter Asems errangen endlich den Sieg, und
die Königin wurde mit ihrem Gefolge gefangen.

Als Asems Gattin ihre Schwester in einer so demütigen
Lage sah, beeilte sie sich, sie zu trösten, warf sich ihrem Gemahl zu Füßen,
und bat für die Königin um Gnade. Asem beteuerte, er dächte an keine Rache,
behandelte sie mit der ehrerbietigsten Schonung, und versprach ihr, all ihr
Unrecht zu vergessen, wenn sie ihrer Schwester ihre ganze Zärtlichkeit
wiederschenken wollte.

Die Königin von Waak al Waak, innig gerührt durch ein so
großmütiges Verfahren, fühlte in ihrer tiefsten Seele Vorwürfe aufsteigen.
Sie stürzte ihrer Schwester in die Arme, und bat sie, ihre ungerechte und
grausame Behandlung zu vergessen.

Von Stund an wurde der Friede geschlossen, Freudenfeste
wurden in beiden Lagern angestellt, und währten mehrere Tage hindurch.