Project Description

547. Nacht

Asem, erfreut, endlich das Ziel seiner mühseligen Reise
erreicht zu haben, versprach der Alten alles, was sie wollte, und mit
hoffnungserfülltem Herzen dankte er dem Himmel, und flehte ihn an, noch seinen
höchsten Wunsch zu gewähren und ihn wieder mit seiner Gattin und seinen
Kindern zu vereinigen.

Die Alte bereitete für Asem ein Nachtessen, welches er
vortrefflich fand, obwohl die Speisen dieses Landes ganz verschieden waren von
denen, an welche er gewöhnt war. Er legte sich hierauf nieder, und schlief mit
ruhigem Herzen, was ihm endlich höchst nötig war, und erwachte am folgenden
Morgen erst sehr spät.

Als er die Augen aufschlug, erblickte er die Alte, welche
am Fuß seines Bettes saß: „Mein Sohn,“ sprach sie zu ihm, „ich
muss Dir sagen, dass Deine Gattin seit ihrer Trennung von Dir viel Leiden
erduldet hat. Niemand kann Dir besser von ihr Nachricht geben, als ich, weil ich
die Amme der Königin und aller ihrer Schwestern bin. Ich bin oft Zeuge der
schmerzlichen Reue gewesen, welche sie bei dem Gedanken empfindet, dass sie sich
mutwillig von Dir getrennt hat, und ich habe mich bemüht, ihren Kummer zu
lindern.“

Asem vergoss bei diesen Worten wehmütige Tränen. Die
Alte konnte ihn nur durch das Versprechen trösten, ihn bald zu der Prinzessin
zu bringen.

Nachdem sie Asem von allen Trübsalen seiner Gattin, seit
ihrer Heimkehr nach der Insel, unterrichtet hatte, verließ sie ihn, und begab
sich nach dem Palast, wo sie die Königin mit ihren Schwestern in Beratung über
das Schicksal der Gattin Asems traf, der sie es noch nicht hatten verzeihen
können, dass sie einen vom Menschengeschlecht geheiratet hatte. Der Beschluss
ihrer Beratung war, sie qualvoll töten zu lassen, um mit ihrem Blut die ihrem
erlauchten Geschlecht angetane Schmach abzuwaschen.

Sobald die Alte herein trat, erhoben sich die Königin und
ihre Schwestern ehrfurchtsvoll, und luden sie ein, sich zu setzen.

„Was habt ihr für das Schicksal Eurer unglücklichen
Schwester entschieden?“, fragte sie die Königin.

„Angesehen,“ antwortete die Königin, „dass
sie eine Missheirat eingegangen, indem sie ihre Hand einem Wesen gereicht hat,
welches nicht zum Geistergeschlecht gehört; dass diese Entehrung auf uns
zurückfällt, und dass unser Geschlecht uns mit Recht deshalb verachten würde:
So haben wir beschlossen, dass sie, ohne Hoffnung auf Erbarmen, umkommen
soll.“

„Ihr Tod wird auf Euer Haupt zurückfallen,“
rief die Amme aus, „denn es ist uns nicht erlaubt, einen bloßen Fehltritt
durch ein so entsetzliches Verbrechen zu bestrafen. übrigens bitte ich Euch um
die einzige Gnade, sie noch einmal sehen zu dürfen.“

Nach Bewilligung dieser Erlaubnis führte man die Alte
sogleich in das Gefängnis der unglücklichen Prinzessin, welche sie bleich und
in Tränen gebadet antraf. Ihre Kinder spielten um sie her, und bemühten sich,
durch ihre unschuldige Fröhlichkeit und ihre süßen Liebkosungen die traurigen
Gedanken der Mutter zu zerstreuen. Ihre Amme weinte anfangs mit ihr, umarmte sie
zärtlich, und nachdem sie sie ermahnt hatte, ihr Vertrauen auf Gott zu setzen,
suchte sie ihr Hoffnung zu geben, dass ihre Leiden vielleicht bald geendigt sein
würden.