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530. Nacht

Bei diesen Worten fiel der Chan der Tatarei Abutemam um
den Hals, umarmte ihn herzlich und sprach zu ihm: „Du bist der einzige
unter den vielen an meinen Hof gekommenen Gesandten, welchen seine Klugheit vor
dem Tod bewahrt. Um die Treue dieser Gesandten und zugleich die Weisheit der
Fürsten zu prüfen, welche sie dazu erwählt hatten, habe ich einem jeden von
ihnen den verfänglichen Vorschlag gemacht, welchen ich Dir soeben getan habe,
und nicht einer war verständig genug, ihn abzulehnen. Ich habe ihre
Unverschämtheit und Treulosigkeit mit dem Tod bestraft, und ich könnte Dich
die Köpfe der vierhundert Gesandten sehen lassen, welche in diesem har ihre
unkluge Verwegenheit mit dem Leben bezahlt haben. Aber, dem Himmel sei Dank, ich
habe endlich einen Fürsten gefunden, der einen klugen und besonnenen Gesandten
zu wählen gewusst hat: Ich säume nicht, ihm meine Tochter zu bewilligen.“

Abutemam war sehr zufrieden mit dem glücklichen Erfolg
seiner Gesandtschaft, die Prinzessin wurde ihm anvertraut, sie seinem Herrn
zuzuführen mit einem Gefolge von vielen Sklaven und einer beträchtlichen
Anzahl reich beladener Kamele.

Als der König den glücklichen Erfolg der Bewerbung durch
seinen Günstling vernahm, war er höchst erfreut; und um ihm seine volle
Zufriedenheit darüber zu bezeigen, kam er ihm zwei Tagereisen weit entgegen in
Begleitung des größten Teils der Bewohner seiner Hauptstadt, in welche bald
darauf das ganze Geleit unter allgemeinem Zuruf und Freudenbezeigungen seinen
prächtigen Einzug hielt.

Die Vermählung des Königs wurde mit der größten
Feierlichkeit in Gegenwart des ganzen Hofes vollzogen, und die Neuvermählten
bezeigten Abutemam ihre volle Erkenntlichkeit für die ihnen geleisteten
Dienste, so dass er mehr als jemals in Gunst stand.

Diese neuen Gunstbezeigungen verdoppelten aber die
Eifersucht und Wut der neidischen Wesire, welche schmerzlich ihren Anschlag
verfehlt sahen. Diese boshaften Männer beschlossen, eine neue List anzuzetteln.
Sie gewannen zwei junge Sklaven des Palastes und vermochten sie durch das
Versprechen einer ansehnlichen Geldsumme, Abutemam zu verleumden.

Eines Abends, als diese beiden Jünglinge die Fußsohlen
des Königs rieben, um ihn einzuschläfern, sprach einer zu dem anderen:
„Es ist doch sehr übel, dass Abutemam so ehrenrührige Reden gegen den
König führt: Kannst Du wohl glauben, dass er laut sagt, nur ihm zuleibe habe
die Tochter des Chans der Tataren die Staaten ihres Vaters verlassen? Sobald
auch der König nur abwesend ist, eilt er nach dem Harem, um seine
Einverständnis mit der Königin zu unterhalten.“

Sobald der König dieses Gespräch gehört hatte, ließ er
Abutemam holen und sprach zu ihm: „Ich habe Dich zu mir berufen, um Dich
übe reine sehr wichtige Angelegenheit um Rat zu fragen: Welche Strafe verdient
der Untertan, der, mit den höchsten Gunstbezeigungen und Wohltaten seines
Königs überhäuft, anstatt durch seine Hingebung sich erkenntlich dafür zu
beweisen, es wagt, eine frevelhafte Verschwörung gegen sein Leben
anzustiften?“

„Er verdient den Tod,“ antwortete Abutemam.

„Wohlan, Du hast Dir selber das Urteil
gesprochen!“, rief der König aus und durchbohrte ihn mit seinem Dolch. Die
Sklaven schleppten den Leichnam hinaus und warfen ihn in den Strom.

Kaum hatte der König seinen Günstling ermordet, als
Unruhe, Schmerz und Reue ihn anfielen. Sein Unmut wurde so groß, dass er sich
in seinem Gemach verschloss und mit seinem Hof nichts zu schaffen haben wollte;
aber ein Umstand kam noch dazu, seine Gewissensbisse zu schärfen.

Von Reue verfolgt, irrte er in den Zimmern seines Palastes
umher, als er hinter einer Bretterwand einen lebhaften Wortwechsel hörte. Er
horchte hin und erkannte die Stimme seiner beiden Sklaven, die Abutemam verklagt
hatten und sich nun um den Lohn ihres Verbrechens zankten: Der ältere verlange
als solcher einen größeren Anteil, welchen der jüngere ihm nicht zugestehen
wollte.