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527. Nacht

Der Bote kam in aller Eile mit diesen schlimmen
Neuigkeiten zu den Eltern zurück. Als diese das jammervolle Schicksal ihres
vielgeliebten Sohnes vernahmen, bemächtigte sich ihrer der bitterste Schmerz.
Sie berieten sich lange über die besten Mittel, ihr Kind zu befreien; endlich,
nachdem sie hinlänglich alles überlegt hatten, was ihnen zu tun übrig bleib,
beschlossen sie, selber nach der Hauptstadt zu reisen, sich dem König zu
Füßen zu werfen und ihren Sohn los zu bitten; sie meinten, dass der Anblick
ihres Jammers den Fürsten vielleicht rühren würde.

In diesem traurigen Vorhaben machten sie sich nach der
Hauptstadt auf den Weg. Nach einer Reise von einem Monat langten sie endlich
dort an; und ihre erste Sorge war, nach dem Palast zu eilen und ihr Gesuch dem
Wesir zu überreichen. Es war in folgenden Worten abgefasst:

„Strahlende Leuchte des Thrones! Du bist der Trost
der Betrübten, und wir kommen, Deine Weisheit anzuflehen. Wir sind schon von
der Last der Jahre niedergedrückt, und Leiden kommen noch dazu, unsere übrigen
traurigen Tage zu verbittern. Wir hatten zwei Söhne und waren ihrer durch ein
schreckliches Unglück beraubt, als die Vorsehung uns durch einen unverhofften
Zufall den einen wiedergab; und diese Gnade des Himmels war der Trost unserer
alten Tage. Wir lebten glücklich, als der Ruf von der Großmut, Weisheit und
Gerechtigkeit des Fürsten, der uns beherrscht, auch bis zu uns gelangte. Unser
Sohn konnten nun dem Verlangen nicht widerstehen, die Türschwelle eines so
großen Herrschers zu küssen, und begab sich nach seiner Hauptstadt. Aber ach!
Er schmachtet gegenwärtig in den Gefängnissen desselben Königs, dessen Gnade
und Mitleid wir anzuflehen kommen. Möchte doch Seine Majestät geruhen, Rusbeh
die Freiheit wiederzuschenken! Wir würden stets mit Inbrunst für die
Glückseligkeit seiner Regierung und die Vermehrung seiner Reichtümer und
seines Ruhmes beten.“

Als der Wesir die Bittschrift des Juweliers zu den Füßen
des Königs brachte, war dieser über den Inhalt derselben höchst erstaunt, und
einige Zeit zweifelte er, ob er wirklich wachte; denn er konnte nicht verkennen,
dass die Urheber der ihm überreichten Bittschrift sein Vater und seine Mutter
wären. Er befahl auf der Stelle, sie in den Palast kommen zu lassen, und sein
Befehl wurde erfüllt.

Sobald die Frau des Juweliers den König erblickte,
erkannte sie auch ihren Sohn. „Ah,“ rief sie aus, „da ist
Behrus!“

Der König stieg vom Thron und warf sich ihr zu den
Füßen; seine Eltern hoben ihn auf und überschütteten ihn mit Liebkosungen.
Der König ließ sie neben sich auf seinem Thron sitzen und seinen Bruder Rusbeh
aus dem Gefängnis holen; und um seine volle Freude über diese glückliche
Erkennung zu bezeigen, befahl er, zugleich alle Gefangenen desselben
Gefängnisses in Freiheit zu setzen.

Er empfand nicht nur das lebhafteste Vergnügen über die
Wiederfindung eines geliebten Bruders, sondern wollte auch den Thron mit ihm
teilen. Beide lebten lange Jahre so vereinigt und ehrten ihre geliebten Eltern
auf alle mögliche Weise.

Ihr seht, Herr,“ setzte Bacht-jar hinzu, „wie
viel Unheil sich der Juwelier durch seine Ungeduld zuzog; zugleich seht Ihr,
dass das Bedenken des Königs, bevor er den Tod des Verurteilten befahl, ihm
viel Reue ersparte, weil er sonst, wenn er seine Eltern wieder gefunden, zu spät
erkannt hätte, dass das Schlachtopfer sein Bruder gewesen wäre.

Ebenso,“ fuhr Bacht-jar fort, „wird Euer
Majestät es sich selber noch Dank wissen, meine Hinrichtung aufgeschoben zu
haben: Denn einst wird meine Unschuld an den Tag kommen.“

Der König verschob hierauf abermals die Hinrichtung des
Angeklagten.