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523. Nacht

Als dieser Aufschub um war, trat der Juwelier abermals vor
den König und erinnerte ihn an sein Versprechen, aber dieser Fürst hatte nicht
Lust, es zu erfüllen, und schlug ihm den Urlaub ab mit Vertröstung auf das
folgende Jahr. Dasselbe wiederholte sich acht Jahre hintereinander, welche der
Juwelier gezwungen war an dem Hof zu bleiben.

Während dieser Zeit hatte seine Frau sich mit der
Erziehung ihrer Knaben beschäftigt und sie in der Sprachlehre, Schreibkunst und
allem, was zur Bildung junger Leute gehört, unterrichten lassen.

Als sie imstande waren, den Briefwechsel mit ihrem Vater
zu führen, schrieben sie ihm einen Brief in so schönen Zügen, dass er
entzückt darüber war und in seiner Ungeduld, sie zu sehen, nochmals bei dem
König auf seine Bitte um Urlaub zurückkam. Der König schlug ihm sein
Verlangen entschieden ab, jedoch erbot er ihm, sichere Leute hinzuschicken mit
dem Auftrag, seine Frau und seine Kinder nach der Hauptstadt zu führen. Der
Juwelier sah sich genötigt, dieses Mittel zu ergreifen, und schrieb an seine
Frau einen Brief, dass sie zu ihm kommen möchte.

Sobald diese die Absicht ihres Mannes vernahm, machte sie
alle Anstalten zur Reise mit ihren beiden Söhnen und reiste kurze Zeit danach
ab.

Sie waren schon sieben Tage unterwegs, als sie eines
Abends am Gestade des Meeres anhielten, um dort die Nacht zu bleiben. Am
folgenden Morgen mit Tagesanbruch hatten die beiden Knaben ihre Mutter
verlassen, um sich am Meeresufer zu ergötzen und sich dieses für sie ganz
neuen Schauspiels zu erfreuen.

Unterdessen hatte der Juwelier, voll Ungeduld, die Ankunft
seiner Frau zu vernehmen, nicht dem Verlangen widerstehen können, sie einige
Augenblicke früher zu sehen, und ohne Urlaub von dem Könige die Hauptstadt
verlassen, um ihr entgegenzueilen.

Er war zwei Tage unterwegs, als er sich gerade an
demselben Ufer befand, wo seien Kinder verweilten. Der Aufgang der Sonne
verkündigte die Stunde der Abwaschung. Er zog seine Kleide raus, legte sie
nebst einer Goldbörse auf den Sand und tauchte sich ins Meer. Nachdem er dieses
fromme Bad genommen hatte, kleidete er sich wieder an, nahm sein Reisebündel
auf und setzte seinen Weg fort.

Er war schon eine Strecke fortgeschritten, als er seine
Börse vermisste. Sobald er seine Unachtsamkeit bemerkte, kehrte er auf der
Stelle nach dem Ort zurück, welchen er verlassen hatte. Er suchte überall
umher, da erblickte er die beiden Knaben. Er näherte sich ihnen und fragte sie,
ob sie nicht eine verlorene Börse gefunden. Die Beiden Knaben antworteten, sie
hätten sie nicht gesehen. Da bildete der Juwelier sich ein, sie hätten ihm
dieselbe gestohlen, misshandelte sie und schimpfte auf sie. Die Jünglinge
antworteten ihrerseits ebenso, und bald wurde der Wortwechsel so heftig, dass
der Juwelier, aufs äußerste getrieben und seiner Wut nicht mehr mächtig, sie
alle beide ins Meer schleuderte.

Zu gleicher Zeit hörte er eine Frauenstimme, welche laut
Behrus und Rusbeh rief. Es war ihre Mutter, welche, beunruhigt durch ihr langes
Ausbleiben, sie auf dieser Seite zu suchen kam. Der Juwelier erkannte die Stimme
seiner Frau, bald erblickte er auch sie selber, lief auf sie zu und bezeigte ihr
seine große Freude über ihr Wiedersehen. „Liebe Frau,“ sprach er zu
ihr, „ich hörte Dich eben nach unsern Kindern rufen: Zeige sie mir, ich
brenne vor Verlangen, sie in meine Arme zu schließen.“

„Ich weiß nicht, wo sie hingeraten sind,“
antwortete ihm seine Frau, „sie sind unlängst ans Ufer des Meeres
gegangen, um sich zu ergötzen und das Meer anzuschauen, aber sie kommen nicht
zurück, und die Unruhe, worin ich schwebe, treibt mich hierher, um zu sehen, ob
sie nicht nach dieser Seite hin gegangen sind.“