Project Description

521. Nacht

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so begann die
Königin alle ihre Bekenntnisse, ohne den geringsten Umstand zu verschweigen.
Sei gestand, Fareksad wäre ihr Sohn, und der König erkannte nun, dass er ihn
ungerechterweise verurteilt hatte. „Weil dies der Wille Gottes war,“
fügte die Königin hinzu, „so unterwerfe ich mich seinen Fügungen, und
vielleicht kann ich mich einst noch über den Tod meines Sohnes trösten, wenn
der König, mein Gemahl, anstatt mir diese kränkendste Verachtung anzutun, mir
seine Liebe wiederschenkt.“

Der König konnte der Rührung, welche diese letzten Worte
in ihm hervorbrachten, nicht widerstehen, und unter heißen Tränen fasste er
die Königin in seine Arme und bedeckte sie mit Küssen. Die Königin tat, als
wenn sie plötzlich erwachte, und rief aus: „Großer Gott! Wie hat es sich
gefügt, dass Euer Majestät mich ihrer Liebkosungen würdigt?“

Jetzt erzählte der König ihr alles, was vorgegangen war,
und machte ihr zärtliche Vorwürfe, dass sie ihm so lange ihr Geheimnis in
Ansehung Fareksads verhehlt, welchen er, weit entfernt, ihn umbringen zu lassen,
mit Vergnügen als seinen eigenen Sohn angenommen hätte. Diese Vorstellung
erneute ihre Tränen, und beide bemühten sich gegenseitig, den Trost zu geben,
dessen jedes von ihnen selber bedurfte.

In der Absicht, Fareksad ein seiner Geburt würdiges
Begräbnis zu veranstalten, ließ der König am folgenden Tage den Schergen vor
sich kommen, dem er die Vollstreckung seines Urteilsspruchs aufgetragen hatte,
und sprach zu ihm: „Du sollst mir den Ort anzeigen, wo Du den Leichnam des
unglücklichen Fareksad beerdigt hast, damit ich auf seinem Grab beten und ihn
als ein unschuldiges Schlachtopfer verehren kann. Dadurch will ich wenigsten,
soviel an mir ist, meine Ungerechtigkeit gegen ihn sühnen und mich dafür
strafen, dass ich diese frische Blume des Gartens der Glückseligkeit gebrochen,
diesen Zweig von der stolzen Zeder des königlichen Stammes abgehauen habe.

„Herr,“ antwortete der Scherge, indem er sich
verneigte, „mögen die Himmel zum Fußschemel des Thrones Euer Majestät
dienen und Glückseligkeit und Freude aus Eurem erhabenen Haus die Verzweiflung
und den Schmerz vertreiben! Fareksad ist nicht tot: Als Ihr mir seine
Hinrichtung befahlt, erachtete ich es für ein Verbrechen, einen Unschuldigen zu
töten, und ich wagte es, ihn in meinem Haus zu verbergen, wo er wirklich noch
ist.“

Diese frohe Neuigkeit schien dem König neues Leben zu
geben und machte ihm umso größere Freude, je weniger er sie erwartete hatte.
Weit entfernt, dem Schergen seinen Ungehorsam zu verweisen, ließ er ihn zum
Zeichen seiner vollen Erkenntlichkeit mit einem reichen Pelz bekleiden und
schickte ihn sogleich mit mehreren andern Leuten hin, um Fareksad zu holen.
Unterdessen eilte er zu der Königin, um ihr dieses glückliche Ereignis
mitzuteilen.

Fareksad kam alsbald. Der König streckte ihm bei seinem
Anblick die Arme entgegen, bezeigte ihm die herzlichste Zuneigung und führte
ihn wieder in den Harem. Die Königin stieß bei seinem Anblick ein
Freudengeschrei aus und unterließ nicht, sogleich der Vorsehung zu danken. Alle
drei lebten nunmehr in der vollkommensten Vereinigung und erfreuten sich eines
ungetrübten Glückes.

Herr,“ sagte Bacht-jar zum Schluss dieser Geschichte,
„Ihr seht aus dem Benehmen der Königin und der Alten, welcher List die
Frauen fähig sind, wenn sie zu ihrem Zweck gelangen wollen. Ihr seht zugleich,
wie vergeblich alle Vorwürfe und Reue gewesen wären, wenn der Scherge zu rasch
gewesen, den ungerechten Befehl des Königs zu vollstrecken. Ebenso wird es Euch
einst in Betreff meiner gehen, wenn Ihr meine Hinrichtung übereilt, wenn die
Wahrheit an den Tag kommt, wird Euer Majestät die Ungerechtigkeit bereuen, dann
wird es aber zu spät sein.“

Asad-bacht ließ Bacht-jar, nachdem er ihn aufmerksam
angehört hatte, ins Gefängnis zurückführen.