Project Description

52. Nacht

„Folgendermaßen,“ sagte Scheherasade,
„fuhr der Kalender in der Geschichte des Neiders und des Beneideten fort:

„Als nun,“ sagte er, „der gute Derwisch den
Thron seines Schwiegervaters bestiegen hatte, bemerkte er eines Tages, da er in
der Mitte seines Hofes durch die Hauptstadt zog, unter der Menge, die sich auf
seinem Wege drängte, den Neider. Er rief einen der ihn begleitenden Wesire zu
sich heran und sagte ihm ganz leise: „Geh, und bringe dort jenen Mann zu
mir; aber hüte dich, ihn zu erschrecken.“ Der Wesir gehorchte, und als der
Neider dem Sultan gegenüber stand, sagte ihm dieser: „Mein Freund, ich bin
sehr erfreut, dich zu sehen!“ – und sodann, indem er sich zu einem Beamten
wandte: „Man zahle ihm auf der Stelle tausend Goldstücke aus meinem
Schatze. Außerdem gebe man ihm noch aus meinen Vorratshäusern zwanzig Ladungen
der kostbarsten Waren, und eine hinreichende Wache führe und geleite ihn in
seine Heimat.“ Nachdem er dem Beamten diesen Auftrag gegeben hatte, sagte
er dem Neider Lebewohl und zog weiter.

Als ich nun diese Geschichte dem Geist erzählt hatte, von
welchem die Prinzessin der Ebenholz-Insel ermordet worden war, machte ich
folgende Anwendung auf ihn: „O Geist,“ sagt ich zu ihm, „du
siehst, dass der wohltätige Sultan sich nicht damit begnügte, zu vergessen, dass
es nicht am Neider gelegen hatte, wenn er nicht ums Leben gekommen war; sondern
er bewies sich ihm überdies noch gnädig und sandte ihn mit so vieler Güte
heim, wie ich dies erzählte.“ Kurz, ich wandte alle Beredsamkeit an, um
ihn zu bitten, er möchte doch ein so schönes Beispiel nachahmen und mir
verzeihen, und fügte noch folgende Verse hinzu:

„Erlasst mir meine Schuld; denn das tun ja auch die großmütigen
Machthaber.“

„Sollte ich mich auch noch so sehr gegen dich
vergangen haben, so sei du gegen mich nicht minder großmütig.“

„Denn wer Vergebung hofft von dem, der über ihm
steht, der verzeihe auch die Fehler dem, der unter ihm ist.“

Es war mir jedoch nicht möglich ihn zu erweichen.
„Alles, was ich für Dich tun kann,“ sagte er zu mir, „ist, dass
ich dir nicht das Leben nehme; aber schmeichle dir nicht, dass ich dich frisch
und gesund fortlasse. Ich muss dich fühlen lassen, was meine Zauber
vermögen.“ Bei diesen Worten packte er mich mit Heftigkeit, trug mich
durch das Gewölbe des unterirdischen Palastes, welches sich öffnete, um ihm
einen Weg zu bahnen, und entführte mich so hoch, dass die Erde mir nur wie eine
kleine weiße Wolke vorkam. von dieser Höhe stürzte er sich wie ein Blitz zur
Erde herab, und fasste auf dem Gipfel eines Berges Fuß.

Dort raffte er eine Hand voll Erde auf, sprach, oder
murmelte vielmehr einige Worte drüber, von denen ich nichts verstand, und sagte
sodann, indem er mich mit der Erde bewarf: „Lege die Gestalt eines Menschen
ab und nimm die eines Affen an.“ Hierauf verschwand er, und ich blieb
allein, in einen Affen verwandelt und vor schmerz zu Boden gedrückt, in einem
unbekannten lande, und ohne zu wissen, wie nahe oder wie fern ich mich von den
Staaten des Königs, meines Vaters befände.

ich stieg von der Höhe des Berges herab und kam in ein
flaches Land, dessen Ende ich erst nach Verlauf eines Monates fand, als ich ans
Meeresufer gelangte. Es herrschte eben eine große windstille, und ich sah eine
halbe Meile von dem Lande ein Schiff. Um eine so gute Gelegenheit nicht zu
versäumen, brach ich einen großen Zweig von einem Baume, zog ihn mir nach ins
Meer und setzte mich reitend darauf, in jeder Hand einen Stock zum Rudern
haltend.

In diesem Zustand schwamm ich auf das Schiff zu. Als ich
nahe genug war, um erkannt zu werden, gewährte ich den Matrosen und Reisenden,
welche auf dem Verdeck erschienen, ein seltsames Schauspiel. Sie betrachteten
mich alle mit großer Verwunderung. Inzwischen gelangte ich an Bord und
kletterte, indem ich mich an ein Tau hielt, auf das Verdeck. Da ich aber nicht
reden konnte, war ich in einer schrecklichen Verlegenheit. In der Tat, die
Gefahr, welche mir damals drohte, war nicht geringer, als die, mich in der
Gewalt des Geistes zu befinden.

Die abergläubischen und ängstlichen Kaufleute glaubten, dass
ich ihrer Schifffahrt Unglück bringen würde, wenn man mich aufnähme, und
deshalb sagte einer: „ich will ihn mit einem Schlägel tot schlagen;“
ein anderer: „ich will ihm den Leib mit einem Pfeil durchbohren;“ ein
dritter: „Man muss ihn ns Meer werfen.“ Gewiss würde irgend einer getan
haben, was er sagte, wenn ich mich nicht dem Schiffshauptmann genähert und zu
Füßen geworfen hätte; aber da ich in der Stellung eines bittenden bei seinem
Kleide ergriff, wurde er von diesem Benehmen und von den Tränen, die er aus
meinen Augen fließen sah, so gerührt, dass er mich in seinen Schutz nahm und
jeden, der mir das geringste Leid zufügen würde, zu bestrafen drohte. Er
machte mir sogar tausend Liebkosungen. ich, von meiner Seite, gab ihm in
Ermangelung der Worte, durch meine Gebärden alle mir möglichen Zeichen von
Erkenntlichkeit.

Der Wind, welcher auf die Stille folgte, war zwar kein
starker, wohl aber ein günstiger; er hielt fünfzig Tage ununterbrochen an und
ließ uns im Hafen einer schönen, sehr bevölkerten und bedeutenden
Handelsstadt vor Anker gehen, die als Hauptstadt eines mächtigen Staates um so
ansehnlicher war.

Unser Schiff war bald von einer Menge kleiner Kähne
umgeben, mit Leuten angefüllt, welche kamen, um ihren Freunden zu ihrer Ankunft
Glück zu wünschen, oder Nachricht von solchen zu erhalten, die sie in dem
Lande, von welche meine herkamen, kennen gelernt hatten, andere aus bloßer Neugier,
ein Schiff zu sehen, das aus weiter Ferne kam. Es fanden sich auch einige Beamte
ein, die von Seiten des Sultans mit den Kaufleuten, die wir am Bord hatten,
sprechen wollten. Die Kaufleute stellten sich ihm vor und einer der Beamten nahm
das Wort und sagte:

„Der Sultan, unser Herr, hat uns beauftragt, euch
seine große Freude über eure Ankunft zu bezeugen und euch zu bitten, dass ihr
euch die Mühe gebt, auf diese Papierrolle jeder einige Zeilen zu schreiben.
Damit ihr wisst, was er dabei für eine Absicht hat, so sollt ihr erfahren, dass
er einen ersten Wesir hatte, der bei einem sehr großen Geschick in der Leitung
der Angelegenheiten, eine ausgezeichnet schöne Hand schrieb. Dieser hohe
Staatsbeamte ist vor wenigen Tagen gestorben. Der Sultan ist sehr betrübt
darüber, und da er die von des Wesirs Hand geschriebenen Schriften nie ohne
Bewunderung ansah, so hat er einen feierlichen Schwur abgelegt, seine Stelle nur
einem Mann zu geben, der eben so schön schreibt. Viele Leute haben ihre
Handschrift eingereicht; aber bis jetzo hat sich im Umfang dieses Reiches
niemand gefunden, der würdig geachtet wäre, die Stelle des Wesirs zu
erhalten.“

Diejenigen Kaufleute, welche gut genug zu schreiben
glaubten, um auf die hohe Würde Anspruch machen zu können, schrieben einer
nach dem andern, was ihnen beliebte. Als sie fertig waren, nahte ich mich und
nahm die Rolle aus der Hand dessen, der sie hielt. Alle Gegenwärtige, und
besonders die Kaufleute, welche geschrieben, bildeten sich ein, dass ich sie
zerreißen und ins Meer werfen wollte, und erhuben ein lautes Geschrei; aber sie
beruhigten sich, als sie sahen, dass ich die Rolle sehr säuberlich hielt und zu
verstehen gab, dass ich auch schreiben wollte. Dies verwandelte ihre Furcht in
Bewunderung. Da sie jedoch niemals einen Affen gesehen hatten, der zu schreiben
verstanden hätte, und sich nicht überzeugen konnten, dass ich geschickter, als
andere meiner Gattung, wäre, so wollten sie mir die Rolle aus den Händen
reißen; aber der Schiffshauptmann nahm sich wieder meiner an.

„Lasst ihn gewähren,“ sagte er, „er mag
schreiben. Wenn er das Papier nur besudelt, so versprech‘ ich euch, ihn auf der
Stelle zu bestrafen; wenn er aber gut schreibt, wie hoffe, (denn ich habe in
meinem Leben keinen geschickteren und gescheuteren Affen gesehen,) so erkläre
ich, dass ich ihn für meinen Sohn erkennen werde. Ich hatte einen, der lange
nicht so viel Verstand besaß, als er.“

Da ich sah, dass sich niemand meinem vorhaben widersetzte,
so ergriff ich die Feder und legte sie erst wieder weg, als ich sechs Arten von
Schrift, wie sie bei den Arabern gebräuchlich sind, geschrieben hatte, und jede
Art enthielt je zwei oder vier Zeilen aus dem Stegreif zum Lobe des Sultans,
z.B. in mittlerer Frakturschrift:

„Wenn die Jahrhunderte die Tugenden der Edeln
verzeichneten, so würden die Deinigen alle bis jetzt aufgezeichneten
austilgen.“

„Möchte doch Gott die Menschen nicht an dir zu
Waisen werden lassen, denn du bist zugleich Vater und Mutter der Tugenden.“

Hierauf schrieb ich mit der Schrift Nasach1)
folgende Verse:

„Es gibt keinen, der da schreibt, der dadurch nicht
auf irgend eine Art in Versuchung erriete. Er bedenke aber, dass Jahrhunderte
aufbewahren, was seine Hände geschrieben haben.“

„Schreib daher nie etwas anders, als solches, was
dich nicht gereuen kann, wenn du es am Tage der Auferstehung wieder sehen
solltest.“

Dann fügte ich noch mit den Schriftzügen Tomar2)
folgendes hinzu:

„Es sei, wenn du schreibst, deine Tinte aus Güte und
Edelmut zusammengesetzt; dann werden sich Schwert und Feder vereinigen, deinen
Ruhm zu behaupten.“

Meine Handschrift verdunkelte nicht nur die der Kaufleute,
sondern ich wage zu behaupten, dass man in jenem Lande noch keine so schöne
gesehen hatte. Als ich fertig war, nahmen die Beamten die Rolle und trugen sie
zum Sultan.“

So weit war Scheherasade in ihrer Erzählung gekommen, als
sie den Tag anbrechen sah. „Herr,“ sage sie zu Schachriar, „wenn
ich Zeit hätte fort zu fahren, so würde ich euer Majestät noch erstaunlichere
Dinge, als die bereits erzählten, mitteilen.“ Der Sultan, der sich
vorgenommen hatte, diese ganze Geschichte zu hören, stand auf, ohne zu sagen,
was er dachte.


1)
Kopierschrift.