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518. Nacht

Zur bestimmten Zeit sah der Kaufmann den jungen Sklaven
ankommen. Er verbarg ihn sogleich in einen Packkasten und machte sich mit ihm
auf den Weg nach Abessinien.

Als am anderen Morgen der Kaiser von Persien die
Entweichung seines vielgeliebten Sklaven gewahrte, schickte er nach allen Seiten
Boten aus, ihn zu verfolgen und an den Hof zurückzubringen. Aber alle ihre
Nachsuchungen waren vergeblich, sie konnten ihn nirgends entdecken, und der
Kaiser von Persien war untröstlich über den Verlust des Jünglings, welchen er
wie sein Sohn liebte.

Unterdessen hatten die beiden Flüchtlinge die Grenzen von
Abessinien erreicht, und nach einigen Tagesreisen kamen sie in der Hauptstadt
an. Der Abgesandte des Königs eilte sogleich nach dem Palast, verkündigte ihm
den glücklichen Erfolg seiner Unterredung und führte ihm Fareksad zu, welcher
ihn durch seine Schönheit, seien Bildung und seine Anmut in Erstaunen setzte.
Ungeachtet der Lobeserhebungen, welche die Königin von ihm gemacht hatte, fand
er, dass dieser junge Sklave seine Vorstellung von ihm noch weit übertraf. Er
ließ ihm eine prächtige Kleidung, ein Pferd, einen Säbel, einen Schild und
einen kostbaren Turban geben. Er erklärte ihn für seinen Stallmeister und
verhieß ihm alle Zärtlichkeit eines Vaters. Dann führte er ihn in den Harem
und stellte ihn der Königin vor.

Als diese Fürstin ihren Sohn erblickte, hatte sie Mühe,
ihre lebhafte Bewegung zu verbergen und ihre Tränen zurückzuhalten. Jedoch
gelang es ihr, sich nichts merken zu lassen, indem sie sich wohl hütete, ihn
anzureden, denn schon der bloße Ton ihrer Stimme hätte ihre mütterliche Liebe
verraten können. Aber sei benutzte den ersten Tag, da der König auf der Jagd
war, um Fareksad zu sich kommen zu lassen, und nun überließ sie sich ohne
Rückhalt der mütterlichen Zärtlichkeit, bedeckte ihn mit Küssen und sprach
zu ihm: „O mein Kind, ich kann nicht ohne Dich leben, und während unserer
langen Trennung ist mein Herz von Schmerz verzehrt worden.“

Diese Worte der Königin zu ihrem Sohn hörte ein Sklave.
Er wähnte die Ehre seines Herrn verletzt, und sobald der König von der Jagd
zurückkam, lief er hin und entdeckte Seiner Majestät, wie er die Prinzessin
von Persien den neulich in dem Harem zugelassenen Fremdling mit Liebkosungen und
Küssen hätte bedecken sehen.

Der König wurde durch diesen Bericht zum heftigen Zorn
hingerissen, und er wähnte nun den Grund entdeckt zu haben, welcher die
Königin bewogen, ihm so große Lobeserhebungen von dem Sklaven zu machen,
dessen Entführung er selber betrieben hatte. Er ließ auf der Stelle beide
herbei rufen. „Elender Fareksad,“ sprach er, „Du hast es also
gewagt, meinen Palast zu besudeln und Dein schändliches Gelüst zu
befriedigen?“

Fareksad, der wohl fühlte, dass seine Rechtfertigung
seien Mutter bloßstellen würde, war gezwungen, zu schweigen, und begnügte
sich, zu antworten: „Ich bin einer schändlichen Handlung unfähig, und
wenn die Königin sich erklären will, so kann sie meine Unschuld
beweisen.“

„Wohlan,“ sprach nun der König zu der
Prinzessin von Persien, „Ihr hört es, Frau: Wollt Ihr nun auch meinem
gerechten Zorn trotzen, nachdem Ihr eine solche Handlung begangen habt?“

Die Königin vermochte nur einen Strom von Tränen zu
vergießen, ohne ein einziges Wort zu erwidern, und ihr Schweigen bestärkte den
König von Abessinien in seinem Verdacht. Er hörte jetzt nur die Eingebungen
seiner Wut, ließ einen von seiner Wache rufen und befahl ihm, Fareksad vor die
Stadt hinauszuführen und ihm den Kopf abzuhauen. Der Scherge ergriff sogleich
den Jüngling und schleppte ihn aus dem Saal des Diwans.