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513. Nacht

Diese Erzählung reizte die Neugier des Königs. Er gebot
auf der Stelle dem Kamelhüter, ihn zu dieser Wunderfrau hinzuführen, in der
Absicht, sich ihrem Gebet zu empfehlen, und sogleich begab er sich nach ihrem
Bethäuslein. Hier, hinter einem Vorhang verborgen, sah er sie sich mit Inbrunst
den Büßungen und der heißesten Frömmigkeit hingeben. Aber wie groß war
seine überraschung, als bei einer Wendung zu der gewöhnlichen Anrufung die
Unbekannte ihn ihre Gestalt sehen ließ und er die Tochter Kamkars erkannte! Er
konnte seine Freude nicht zurückhalten, sondern sprang aus seinem Versteck
hervor, drückte sie in seine Arme, und in Tränen zerfließend, flehte er sie
an, ihm die Missetat, deren er sich gegen sei für schuldig bekannte, zu
vergeben, ihm ihre Liebe wiederzuschenken und in alle Rechte der Königin, deren
er sie so grausam beraubt hatte, wieder einzutreten.

„Herr,“ antwortete sie ihrem Gemahl, „ich
setze eine Bedingung auf die Verzeihung, um welche Ihr mich bittet: Ich fordere,
dass Ihr noch einige Augenblicke in diesem Haus verweilt, damit Ihr Euch selber
von der tiefen Treulosigkeit und der teuflischen Arglist überzeugen könnt,
deren Euer Wesir sich bedient hat, um mich Eures Vertrauens zu berauben.

Der König war zu dieser Prüfung bereit, und die Tochter
Kamkars bat den Kamelhüter, hinzugehen und Kardar zu melden, dass eine bei ihm
wohnende Frau lebhaft wünschte, mit dem Wesir auf einige Augenblicke eine
geheime Unterredung zu haben.

Kardar kam ungesäumt zu dem Stelldichein, und seine
überraschung war ebenso groß wie seine Freude, als er in der Frau, welche nach
ihm verlangt hatte, die Tochter seines alten Genossen erkannte. Er wähnte, nun
endlich wäre der Augenblick zur Erfüllung seiner Wünsche gekommen, und voll
Entzücken rief er aus: „Licht meines Lebens, welcher glückliche Zufall
hat Euch vor dem grausamen Tode bewahrt, welcher Euch bestimmt war? Ach, es hat
nicht an meiner Sorgfalt gelegen, dass Ihr nicht gerettet worden seid, denn noch
denselben Tag, als der König Euch auf das Kamel binden ließ, sandte ich Leute
nach allen Seiten aus mit dem Auftrag, Euch nach meinem Palast zurückzubringen,
aber alle ihre Nachforschungen waren vergeblich, und ich vernahm mit Schmerzen,
dass es ihnen unmöglich gewesen war, Euch aufzufinden. Seit dieser Zeit war ich
ein Raub des Herz zerreißendsten Kummers: Eure Rückkehrt gibt mich endlich dem
Glück und dem Leben wieder. Ach! Welche Leiden und Kümmernisse hättet Ihr uns
beiden erspart, wenn Ihr damals schon, als ich in dem Garten des Palastes Euch
jenen Stein hinab warf, meinen Anträgen Gehör hättet geben wollen! Sagte ich
Euch nicht die Behandlung voraus, welche Ihr nun erfahren habt? Sagte ich Euch
nicht, dass ein Mann der imstande gewesen, ungerechterweise Euren Vater zu
töten, einst auch gegen Euch selber ungerecht sein würde? Wir haben ein
Mittel, uns von diesem verhassten Tyrannen zu freien, ein Gift hätte unsere
Ruhe für immer gesichert. Ihr habt damals die Anerbietungen eines Mannes
verschmäht, der Euch anbetete. Ihr habt mir zur Antwort Eure gewissenhafte
Treue gegen Euren Gemahl und Eure gänzliche Ergebung in die Beschlüsse der
Vorsehung entgegengestellt: Ihr seht nunmehr, in welchen Abgrund von Leiden
diese so edlen Gesinnungen Euch gestürzt haben. Aber verbannen wir jetzt dieses
unnütze Bedauern, entfernen wir jetzt die Erinnerung der vorgefallenen
Unfälle, und denken wir nur an unser gegenwärtiges Glück und an die Güte des
Himmels, welche Euch unsern Wünschen und meiner Liebe wiedergibt.“

Mit diesen letzten Worten nahte sich Kardar der Sultanin
und wollte sie umarmen: Aber in demselben Augenblick sprang der Sultan, welcher
die Geduld verlor, hervor und durchbohrte ihn mit seinem Kandschar, so dass der
Wesir sogleich niederstürzte und den letzten Seufzer ausstieß.

Der König führte nun die Königin nach dem Palast
zurück, wo beide ein ungestörtes Glück genossen hätten, wenn der Gedanke an
die Ungerechtigkeit des Fürsten gegen Kamkar nicht ihre Glückseligkeit
getrübt hätte.

Ihr seht, Herr,“ setzte Bacht-jar hinzu, „wie
gefährlich die übereilung war, mit welcher der König Dabdyn den Wesir Kamkar
und seine Tochter verurteile. Hätte er auf die Stimme der Vorsicht gehört und
nicht eigenhändig diesen Minister getötet, so würde er sich eine herbe Reue
und die Vorwürfe erspart haben, welche sein ganzes übriges Leben verbittern
mussten.

Es wird Euer Majestät ebenso ergehen, wenn Ihr mir nicht
vergönnt, Mittel und Beweise meiner Unschuld zu finden. Ich flehe Euch nur um
etliche Tage, Euch dartun zu können, dass ich mich in derselben Lage befinde
wie die unglückliche Fürstin, deren Geschichte ich Euch soeben erzählt
habe.“

Asad-bacht, gerührt durch diese Erzählung, ließ
Bacht-jar ins Gefängnis zurückführen.