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496. Nacht

Eines Tages, als Behesad sich mit einigen Leuten vom
Handelsstand unterhielt, erzählte einer derselben ein gar seltsames Abenteuer,
das ihm begegnet war. „Es sind ungefähr zwei Jahre,“ sprach dieser,
„dass ich mit einer Anzahl Kamele reiste, welche ich für meine Rechnung
hatte beladen lassen, als, in der Nähe einer Stadt, meine Karawane von einer
Räuberbande völlig geplündert wurde. Trostlos über diesen Unfall, entfloh
ich tief in ein Gehölz, um nicht selber den Räubern in die Hände zu fallen.
Die Nacht brach an, und ich sah mich genötigt, auf einen dichtbelaubten Baum in
der Nähe der Heerstraße zu steigen. Kaum befand ich mich einige Augenblicke
droben, als ich in der Ferne glänzende Lichter erblickte, welche sich
allmählich dem Ort, wo ich war, näherte. Bald sah ich eine Menge Leute
vorüberziehen, welche sich der lärmendsten Lustigkeit überließen. Ihnen
folgten Diener mit Feuerbecken, in welchen Räucherwerk von so köstlichem
Geruch brannte, dass der ganze Wald davon duftete. Hierauf kamen Spielleute,
welche ihren Gesang mit vielen Instrumenten begleiteten. Dann folgten Sklaven
mit Fackeln in den Händen, bei deren Schein ich, in der Mitte eines glänzenden
Gefolges, einen Tragsessel erblickte, und auf diesem saß die schönste
Prinzessin, welche ich jemals in meinem Leben gesehen habe: Der Glanz ihres
reizenden Antlitzes überstrahlte weit den Schein der sie umgebenden Kerzen. Ich
wurde dermaßen davon geblendet, dass immerdar, seit dieser Zeit, ihr Bild vor
meiner Seele schwebt.“

Diese Erzählung reizte heftig Behesads Neugierde, und
machte auf diesen jungen Prinzen einen tiefen Eindruck. Der Erzähler fuhr nun
folgendermaßen fort:

„Am folgenden Morgen stieg ich wieder von dem Baum,
auf welchem ich die Nacht zugebracht hatte, ging weiter,  und kam in eine
Stadt. Ich vernahm, dass ich in Rom, der Hauptstadt der Cäsaren, war.

Als ich mich erkundigte, wer die reizende Erscheinung
gewesen, welche ich in der vorigen Nacht in dem benachbarten Wald gesehen hatte,
erfuhr ich, es wäre des Kaisers Tochter, die schöne Nikarine, welche sich nach
einem Landhaus begeben, wo sie einen Teil des Jahres zuzubringen pflegte, um die
Annehmlichkeit der schönen Jahreszeit zu genießen, und die Seufzer und
Liebesklagen der Nachtigall an die Rose zu hören.“1)

Sobald der Prinz Behesad diese Erzählung gehört hatte,
lief er zu einem der Wesire seines Vaters, und sagte ihm, er wäre nun schon in
dem Alter, dass man auf eine Gattin für ihn denken müsste, und dass er sich
vermählen wollte. „Prinz,“ antwortete der Minister, „wenn ihr
eine passende Wahl getroffen habt, so wird der König, euer Vater, gewiss nicht
anstehen, eurem Verlangen zu genügen.“

„Nun wohl,“ antwortete der Prinz, „der
Gegenstand all meiner Wünsche ist die Prinzessin Nikarine, die liebenswürdige
Tochter des Kaisers von Rom: Mein Vater muss durchaus Gesandten hinschicken, um
ihre Hand anzuhalten.“

Als der Wesir dem König von Halep die Anmutung seines
Sohnes mitgeteilt hatte, antwortete er, es wäre unmöglich, den von Behesad
geforderten Schritt zu tun. „Der Kaiser von Rom,“ sprach er,
„wird nimmermehr seine Tochter der Bewerbung eines Fürsten gewähren,
dessen Staaten, in Vergleich mit den seinen, so klein sind, und der überdies
mit ihm nicht von derselben Religion ist.“

Als Behesad die Antwort seines Vaters vernahm, geriet er
in Verzweiflung, und erklärte ganz bestimmt, wenn sein Vater hierauf beharre,
so würde er seinerseits auch einen Entschluss fassen, und selber hingehen,
diesen Antrag zu machen. Sehr erschrocken über den Vorsatz seines Sohnes
bewilligte nun der König, eine Gesandtschaft mit reichen Geschenken an den
Kaiser zu schicken.

Der Kaiser empfing die Abgesandten des Königs von Halep
mit großem Wohlwollen, aber er ward entrüstet, als er den Gegenstand ihrer
Sendung vernahm. Indessen bewilligte er seine Tochter dem Sohn des Königs von
Syrien, wenn er eine Summe von hundert Lak2)
Dinare in seinen Schatz zahlen könnte.

Als die Gesandten dem König die antwort des Kaisers
zurückbrachten, erklärte derselbe, dass er nimmer eine solche Summe
aufzubringen vermöchte. Jedoch, durch Behesads Bitten gerührt, raffte er alles
zusammen, was er konnte, und brachte es wirklich bis auf dreißig Lak Dinare.


1) Die Lieder des Morgenlands
sind voll von der Liebe der Nachtigall zu der Rose. Auch das Abendland erzählt,
dass die Nachtigall bei ihren sehnsüchtigsten Klagen ihre Brust in einen
Rosendorn drückt.