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491. Nacht

Diese Vorwürfe brachten Bacht-jar zu Tränen. Er
antwortete seufzend, er wüsste nicht, wie es zugegangen wäre. Wenn man ihn
auch in dem Innern des Harems gefunden, so wäre er jedoch ohne irgend eine
sträfliche Absicht hinein gekommen.

Der Wesir erbat sich von dem König die Erlaubnis,
hinzugehen und die Königin über die Ereignisse der vergangenen Nacht zu
befragen, und begab sich zu ihr nach dem Harem.

„Herrin,“ sprach er zu ihr, „eurer Ehre
nachteilige Gerüchte laufen schon überall um. Man wagt zu behaupten, ihr habt
verbrecherische Verbindungen mit einem Räubersohn unterhalten.“ Als
hierauf die Königin ihren tiefen Unwillen bezeigte, und ihre Unschuld
beteuerte, fuhr der treulose Wesir fort:

„Es gibt nur ein Mittel, die Wut des durch diesen
Vorfall tief gekränkten Königs zu beschwichtigen, nämlich, den Bacht-jar
anzuklagen. Befolgt die Weisung eines Mannes, der euch retten will, und scheut
euch nicht, eurem erhabenen Gemahl zu gestehen, dass dieser junge Mensch sich
erfrecht habe, eine törichte und verbrecherische Leidenschaft für euch zu
nähren, und dass er, ungeachtet aller Wohltaten, womit er täglich überhäuft
worden, sich so weit vergessen, euch sträfliche Anträge zu machen. Ihr müsst
sogar sagen, dass er euch mit Gewalt gedroht habe, wenn ihr euch seinem Willen
widersetzt, und dass er euch seinen Anschlag mitgeteilt, den König zu ermorden
und sich des Thrones zu bemächtigen. Das ist, glaubt mir, das einzige Mittel
Asad-bachts Vertrauen wieder zu gewinnen und ihn zu beruhigen. Folgt meinem
Rat, und fürchtet nichts, ich stehe euch für den Erfolg.“

Die Königin war sehr erstaunt über diese unwürdige
Anmutungen des Wesirs. „Nein,“ erwidertes sie, „niemals will ich
mitschuldig an der ungerechten Verurteilung eines unschuldigen Menschen sein,
und Gott wird euch dafür strafen, dass ihr euch erfrecht habt, mir ein solches
Verbrechen anzumuten.“

„Bacht-jars Blut,“ versetzte der Wesir,
„ist nicht unschuldig. Da dieser Mensch Straßenräuber gewesen ist, so hat
er die Todesstrafe verdient, und alle eure Bedenklichkeiten sind ohne Grund. übrigens
nehme ich es auf mich, vor Gott am jüngsten Gericht euer Betragen in dieser
Sache zu verantworten. Welches Mitleid verdient ein Mensch, der sich nicht
scheute, selber erbarmungslos Menschenblut zu vergießen? Zumal, wenn es das
einzige Mittel ist, welches sich darbietet, um das Leben und die Ehre Euer
Majestät zu retten.“

Die Königin ließ sich durch diese Vorstellungen des
Wesirs überreden, und willigte ein, seiner Anleitung zu folgen. Triumphierend
über den Erfolg einer so boshaften Anzettelung gegen seinen Feind, begab sich
dieser Minister wieder zu dem König.

Asad-bacht erkundigte sich hastig nach dem Erfolg seiner
Unternehmung.

„Nun, Wesir,“ fragte er ihn, „was hat die
Königin dir gesagt?“

„Herr,“ antwortete der treulose Höfling,
„ich kann Euer Majestät nicht wieder sagen, was ich vernommen habe: Ihr
werdet es aus dem eigenen Mund derjenigen erfahren, welche zu befragen ich
beauftragt war.“

Sogleich begab sich der König in sein Wohnzimmer, und
ließ die Königin kommen, welche ihm dasselbe wiederholte, was der Wesir ihr
eingegeben hatte. Asad-bacht, von ihrer Aufrichtigkeit überzeugt, machte ihr
keine Vorwürfe, und maß sich allein die Schuld bei, weil er in seinen Palast
den Sohn eines Straßenräubers aufgenommen, dessen strafbare Absichten nun
enthüllt wären. Er befahl, dem Bacht-jar Ketten an die Füße zu legen, und
ihn in ein Loch zu sperren, mit dem festen Vorsatz, am folgenden Morgen in
seiner Bestrafung ein warnendes Beispiel aufzustellen.

Während nun der unglückliche Bacht-jar, dem nur noch die
Hoffnung auf die göttliche Hilfe blieb, in der Tiefe eines dunklen
Gefängnisses, seufzte und betete, gingen seine boshaften Feinde heim, um sich
über das Mittel zu beraten, ihn desto sicherer zu verderben.