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485. Nacht

Indessen nötigten die Pflichten seines Amtes den
Sipehsalar sich auf einige Zeit von seiner geliebten Tochter zu entfernen, um
die Provinzen des Reiches zu bereisen, die Klagen der Unterdrückten anzuhören,
und die Ungerechtigkeiten der Statthalter abzustellen. Weil seine Abwesenheit
sich in die Länge zog, so schickte er einen seiner Leute, der sein ganzes
Vertrauen besaß, mit dem Befehl ab, ihm seine Tochter zu holen.

Der Abgesandte säumte nicht, er begab sich zu der Tochter
des Wesirs, und teilte ihr die Sehnsucht ihres Vaters und den von ihm erhaltenen
Befehl mit. Das junge Fräulein ließ sogleich eine reich geschmückte Sänfte in
den Stand setzen, mit den zur Reise nötigen Pferden und Gefolge von Sklaven,
und machte sich auf den Weg.

Der Zug war schon in Bewegung, als Asad-bacht, der von der
Jagd zurückkam, ihn erblickte. Die prächtige Sänfte mit dem zahlreichen
Gefolge zog ihn an, er ritt näher, und fragte, wer hier mit solchen Aufwand
reiste. Man antwortete ihm, es wäre die Tochter des Wesirs Sipehsalar, welche
sich zu ihrem Vater begebe.

Auf diese Nachricht näherte sich Asad-bacht der Sänfte.
Sogleich warfen alle Reiter und Sklaven sich mit dem Gesicht zur Erde, um dem
König ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Dieser Fürst befahl ihnen, ihren Herrn von
ihm zu grüßen, und war im Begriff wieder weg zu reiten, als das junge Fräulein,
aus Neugierde, den zu sehen, der ihre Fahrt so aufgehalten hatte, einen Zipfel
des Vorhangs aufhob und einen Blick auf Asad-bacht warf.

Dieser, von der hinreißenden Schönheit der Tochter
seines Wesirs geblendet, wurde auf der Stelle sterblich verliebt in sie.
„Sklaven,“ sprach er zu ihren Begleitern, „führt sogleich diese
Sänfte nach der Stadt zurück, und einer von euch eile alsbald hin zum
Sipehsalar, ihm zu melden, dass seine Tochter meine Gemahlin werden soll.“

„Herr,“ antwortete einer der Sklaven, indem er
sich zur Erde niederwarf, „möge Gott die kostbaren Tage euer Majestät
verlängern! Ihr seid der Beherrscher der Welt, der größte König des
Zeitalters, und jedermann muss sich beeilen, euren geheiligten Befehlen zu
gehorchen. Aber erlaubt uns, euch vorzustellen: Wie groß auch die Freude sei,
mit welcher euer Wesir durch die Nachricht von der Ehre, deren ihr ihn würdigt,
überschüttet werden soll, doch wäre es wohl schicklich, unsere Gebieterin zu
ihrem Vater reisen zu lassen, damit alles unsern Satzungen und Gebräuchen
gemäß zugehe, und Sipehsalar seine Tochter in einem der königlichen Majestät
würdigen Aufzug feierlich in euren Palast sende.“

Der König, ohne auf diese Vorstellungen zu achten,
wiederholte seinen Befehl, die Sänfte umkehren zu lassen.

„Herr,“ fuhr der Sklave fort, „wir
beschwören euch darum, bedenkt den Nachteil, welchen dieser ungewöhnliche
Schritt für die Ehre unserer Gebieterin haben kann. Ihre Feinde werden diese
Gelegenheit benutzen, um auf ihre Rechnung alle erdenkliche Verleumdungen zu
verbreiten.“

„Du bist sehr vermessen, Sklave,“ erwiderte
Asad-bacht, gereizt, „dass du es wagst, deinem König Lehren zu geben.
Deine Verwegenheit würde dir das Leben kosten, wenn ich nicht deine
liebenswürdige Gebieterin zu beleidigen fürchtete.“

Er sprach’s, und zugleich ergriff er selber die Zügel der
Rossbahre, und ließ den Zug umkehren, der im Palast in dem Augenblick ankam,
als die scheidende Sonne die Welt dem Schatten der Nacht überließ.