Project Description

482. Nacht

„Ich verspreche es dir,“ sprach Hassan,
„aber…“ Indem stürzte der Geist tot zu seinen Füßen nieder.

Der trostlose Prinz leistete seinem Reisegefährten die
letzte Pflicht, und beobachtete gewissenhaft alles, was er ihm ans Herz gelegt
hatte. Dann ging er wieder ins Lager zu seinen Leuten und gab Befehl zum
Aufbruch.

Nach drei Tagesreisen traf er wieder die Pyramide, an
welcher er vorbei gekommen war. Sein alter Vater erwartete ihn dort schon seit
langer Zeit: Beide fielen einander in die Arme, und hielten sich lange fest
umschlungen. Endlich eilten sie wieder nach ihrer Hauptstadt, wo sie von den
Großen, wie von dem Volk, mit den aufrichtigsten Freudenbezeugungen aufgenommen
wurden.

Da Scheherasade bemerkte, dass der Tag noch nicht anbrach,
begann sie noch die Geschichte des Prinzen Mahmud.

Geschichte
des Prinzen Mahmud

„Es herrschte vorlängst in Indien ein mächtiger
König, der von seinen Untertanen geliebt und auf dem Gipfel des Glückes war,
nur ein einziger Umstand betrübte ihn: Seine geliebte Gattin war von einer
unheilbaren Krankheit befallen, welche sie allmählich dem Tod entgegen führte.

Indessen verkündigte ihm eines Tages der Arzt, dass es in
Syrien ein köstliches Heilmittel gäbe, dessen Geheimnis ein alter Rabbi
besäße, und dass allein dieses Mittel die Königin wieder gesund machen
könnte.

Der König forderte seine beiden Söhne auf, sich nach
diesem Heilmittel, Wasser des Lebens genannt, aufzumachen. Die jungen Prinzen
waren überglücklich, ihre Mutter retten zu können, verkleideten sich, und
schlugen jeder einen andern Weg ein, um desto sicherer zum Ziel zu gelangen.
Nach einem zärtlichem Lebewohl schieden sie voneinander.

Der älteste bestand große Gefahren, und durchzog viele
wilde Gegenden. Endlich gelangte er in eine große Stadt, wo sich das gesuchte
Heilmittel befinden sollte. Er säumte nicht, sich zu der prächtigen Synagoge
zu begeben, welche man ihm bezeichnet hatte. Er trat hinein, und bat den Rabbinern
um ein wenig Wasser zur Erfrischung.

Der alte Spitzbube von Juden hielt ihn in seiner
Verkleidung für einen muselmännischen Derwisch. Seine Religion machte es ihm
zur Pflicht, die Ungläubigen aus dem Weg zu räumen: Er vergiftete das Wasser,
welches er ihm darbot. Der Prinz stürzte auf der Stelle tot nieder, und der
Israelit wickelte seinen Leichnam in eine Matte, warf ihn in ein unterirdisches
Gewölbe des Tempels, und ging zu Hause, sehr zufrieden mit seiner frommen
Handlung.

Einige Zeit danach kam der jüngere Prinz, in fast
ähnlicher Verkleidung wie sein Bruder, hier an. Um Gelegenheit zu einer
Verbindung mit dem Juden zu finden, bat er ihn um eine Zuflucht in der Synagoge.
Der Tschifut1)
nahm ihn mit Freuden auf, in der Hoffnung, ein neues Schlachtopfer aus ihm zu
machen. Er hatte sogar schon ein Messer bereitet, um ihm im Schlaf den Kopf
abzuschneiden. Aber das gute Ansehen des Prinzen und seine Freundlichkeit hatten
das Herz des alten Bösewichts gerührt. Er bedachte überdies, wenn er den
schönen Jüngling zum Sklaven machte, so könnte er aus seinem Verkauf, bei
seiner stattlichen Gestalt, einen guten Gewinn lösen. Er deutete ihm also bei
seinem Erwachen an, er wäre ein Gefangener, und seine Arbeit bestände fortan
darin, die Lampen anzuzünden, und die verschiedenen Abteilungen der Synagoge in
Ordnung zu halten.

Mahmud (so hieß der junge Prinz), dessen Entwurf diese
Verrichtung begünstigte, war innerlich vergnügt über diese Gewalttätigkeit,
welche an ihm verübt wurde, und tat gleichwohl, als wenn er sehr
niedergeschlagen darüber wäre. Er gedachte, doch wohl die Flucht zu ergreifen,
sobald er den dazu günstigen Augenblick fände.

Eines Tages, als Mahmud allein im Tempel war, fiel es ihm
ein, in das unterirdische Gewölbe hinab zu steigen: Aber wie groß war sein
Erstaunen, als er hier den Leichnam und die Kleider seines unglücklichen
Bruders erkannte. Wütend über diese Untat, hätte er den alten Rabbiner mit
offener Stirn angefallen, wenn die Klugheit ihm nicht geboten, seine Rache zu
verschieben, um sie desto sicherer zu vollstrecken. Er verstellte sich also,
verschloss seinen Ingrimm in seinem Busen, und verdoppelte seinen Diensteifer
und guten Willen, um sich das Wohlwollen seines Herrn zu erwerben. Dieser, sehr
zufrieden mit seinen Diensten, nahm ihn endlich ganz in sein Haus. Nach diesem
glücklichen Erfolg dachte nun Mahmud auf Mittel, seinen Zweck zu erreichen, als
ein unerwartetes Ereignis ihm die Gelegenheit dazu darbot.


1)
Tschifut ist Rabbinisch und bedeutet unsinnig, töricht.