Project Description

480. Nacht

„Prinz,“ versetzte der Geist, „du wirst
nimmer dieses Land erreichen. Auch der unverdrossenste Reisende gebrauchte
dreihundert Jahre, um dahin zu gelangen. Aber mein Sohn, ein altes Sprichwort
sagt, dass keine Wohltat verloren ist, und dass kein Wesen entweder wohltätiger
oder grausamer ist, als die Bewohner der Wüste. Du hast mir Gutes erwiesen. Ich
will dir dasselbe erwidern, aber du musst deine Leute mit dem Gepäck hier
zurücklassen.“

Hierauf befahl Hassan seinen Leuten, ihn zu erwarten und
dort bis zu seiner Rückkehr zu lagern. Nachdem er sich die Ohren mit Baumwolle
verstopft hatte, stieg er dem Geist auf die Schulter, und verschwand mit ihm.

In wenigen Stunden hatten sie den Garten des Landes
Kaffern erreicht. Der Prinz, auf dem Gipfel der Freude, durchläuft diesen
zauberischen Garten, welchen keine Beschreibung zu schildern vermöchte: Blumen
von allen Farben, Bäume von den seltensten und wunderbarsten Arten bezauberten
seine Blicke. Tausend Vögel von verschiedenartigem Gefieder entzücken sein Ohr
durch ihren wohl lautigen Gesang.

Der junge Prinz erkannte unter diesen Vögeln auch
diejenigen, welche er suchte. Schon hatte er sechs davon gefangen, als einer der
Gartenwächter Lärm machte: Sogleich wurde Hassan von allen Seiten umringt und
nach dem Palast des Königs geschleppt, dem diese Gärten gehörten.

Er kam bald vor den Sultan, und der erzürnte Fürst
fragte ihn: „Wer hat dir das Recht gegeben, meinen Garten so unverschämt
zu bestehlen?“, und als der Prinz, in der Bestürzung, nichts antwortete,
fuhr der König fort: „Du hast den Tod verdient, und nur unter einer
einzigen Bedingung will ich dir verzeihen. Die ist, dass du mir von den
Schwarzen Inseln die Diamanten-Traube bringst: Diese Inseln liegen an der Grenze
meiner Staaten, ich will dir die Fahrt dorthin erleichtern, und wenn du nicht
erliegst, so bist du deiner Begnadigung gewiss.“

Hassan, als Freund gefahrvoller Abenteuer, nahm diese
Bedingung mit Freuden an. Er sucht seinen dienstbaren Geist wieder auf. Beide
reisen zusammen nach den Schwarzen Inseln, und haben sie alsbald erreicht. Sie
erkennen die Gärten, von denen die Rede war, an dem funkelnden Glanz der
zahllosen Smaragden und Diamanten, aus welchen die Bäume bestehen. Aber bevor
sie dahin gelangen, erblickten sie ein Ungeheuer, dessen scheußlicher Anblick
sie anfangs zurückschreckt. Indessen folgt der Prinz bald nur seinem Mut,
ergreift sein Schwert, und schlägt auf das furchtbare Untier. Die Schuppen,
womit dasselbe gepanzert ist, vereiteln aber alle seine Anstrengungen.
Erschöpft vom Kampf war er schon im Begriff dem wiederholten Anstürmen seines
Widersachers zu erliegen, wenn der Geist nicht auf der Stelle die Gestalt eines
Vogels mit einem sehr spitzen Schnabel angenommen, und damit dem schrecklichen
Tier die Augen ausgehackt hätte. Der Prinz, der nun seine Streiche nach
Gefallen führen konnte, stieß ihm sein Schwert in den Leib, da wo eine Schuppe
fehlte, und Ströme schwarzen Blutes stürzten schäumend hervor.

Nachdem das Ungeheuer sein Leben ausgehaucht hat, eilt
Hassan in den Garten, und schaut hier eine Menge von Bäumen aller Art, die mit
den reichsten und glänzendsten Früchten prangen. Endlich erblickt er auch die
Diamanten-Traube, welche er holen soll, und schon streckt er die Hand danach
aus, als von allen Seiten ein Geschrei hervorbricht. Riesen stürzen über ihn
her, fesseln ihn, und schleppen ihn vor ihren König.

Dieser, in Wut über die Verwegenheit des Prinzen,
verdammte ihn auf der Stelle zum Tod, und sein Befehl sollte schon vollzogen
werden, als man plötzlich ein Freudengeschrei hört: und alsbald verlautet,
dass das Ungeheuer, welches jährlich mehrere Jungfrauen des Landes zu
verschlingen kam, eben erlegt worden sei. Der Sultan, entzückt über diese
frohe Neuigkeit, tut sogleich das Gelübde, dem tapferen Mann, der das Land
befreit hat, seine Tochter zu geben.