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478. Nacht

Als sein erhabener Vater seine traurige Miene bemerkte,
befragte er ihn um die Ursache davon. Der Prinz antwortete ihm:

„Ich habe einen Vogel gesehen, welcher mich dermaßen
bezaubert hat, dass ich schwöre, kein Fleisch zu essen, bevor ich mir nicht
einen solchen verschafft habe.“

Vergebens stellte der König ihm vor, der Schöpfer hätte
in seiner Weisheit eine so große Menge von Vögeln erschaffen, dass es
vermutlich noch schönere darunter gäbe, als jener wäre. Nichts vermochte
Hassan zu trösten, und mit Anbruch des Tages durchstrich er von neuem die
Gegend.

Er erblickt abermals seinen geliebten Vogel, nähert sich
ihm vorsichtig, spannt seinen Bogen, und drückt los: Aber der Vogel ist
abermals entflohen, und der Pfeil hat ihn nicht erreicht. Der Prinz verfolgt ihn
nun, so schnell sein Pferd laufen kann, und die Nacht allein vermag seinen Lauf
zu hemmen. Höchst ermüdet kommt er langsamen Schrittes nach der Stadt zurück.
Ein ehrwürdiger Greis begegnet ihm: „Prinz,“ spricht er zu ihm,
„ihr scheint ganz erschöpft von Anstrengung. Darf ich euch fragen, was
euch in diesen Zustand zu setzen vermochte?“

„Guter Vater,“ antwortete ihm Hassan, „ich
habe einem grünen Vogel nachgejagt, aber er hat sich meinen Geschossen
entzogen: Und ich wünschte doch so sehnlich ihn zu erjagen.“

„Mein Sohn,“ entgegnete der weise Alte,
„und wenn ihr euer Leben lang diesen Vogel verfolgtet, so vermöchtet ihr
ihn doch nicht zu erreichen: Er wohnt in dem Land der Kaffern1),
wo man noch viel schönere Vögel findet, als der von euch gesehene ist: Einige
derselben singen bezaubernd schön, andere sprechen wie die Menschen. Aber ihr
könnt niemals nach diesem Land gelangen. Denkt also nicht mehr an diesen Vogel,
und sucht irgend einen anderen Gegenstand, welcher euch zerstreuen kann, denn es
ist unmöglich, euch diesen Vogel zu verschaffen.“

„Bei den hundert Namen Allahs,“ rief der Prinz
auf diese Worte des Greises aus, „nichts könnte mich abhalten, das Land
aufzusuchen, von welchem ihr mir gesagt habt.“

Hiermit verließ er ihn ungestüm, und ergab sich
gänzlich der Hoffnung, nach dem Land der Kaffern zu reisen.

Als sein Vater seine Verwirrung bemerkte, erkundigte er
sich, was ihm begegnet wäre, und als er vernahm, dass die fruchtlose Jagd und
die Worte des Greises den jungen Prinzen in diesen Zustand versetzten, sprach er
zu ihm:

„Mein Sohn, verbanne diese Hirngespinste aus deiner
Seele. Beruhige dich, und quäle dich nicht so ganz vergebens.“

„Seitdem der Greis mir das gesagt hat,“
antwortete Hassan, „habe ich noch ein weit heftigeres Verlangen, diesen
Vogel zu besitzen, das Land der Kaffern zu besuchen, und die Gärten zu
bewundern, wo ein so wunderbares Tier seinen Aufenthalt hat.“

Ungeachtet der Vorstellungen seines Vaters, welchen tiefen
Schmerz er und die Mutter über seine Abreise empfinden würden, beharrte der
junge Hassan bei seinem Vorsatz, drohte sich zu entleiben, wenn man ihn an der
Ausführung desselben hindern wollte. In Begleitung einer zahlreichen Bedeckung,
welche man ihm vorsorglich mitgab, machte er sich auf den Weg nach dem Land der
Kaffern.


1) Das ferne Wunderland der
Kaffern hängt vermutlich mit dem Gebirge Kaf, welches die Welt umgürtet,
zusammen.