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476. Nacht

Diese Rede des Vogels klärte dem Sultan im Augenblick
alles auf.

„Vogel,“ rief er aus, „es wird mir nicht
schwer, dem Glauben beizumessen, was du mir entdeckst und verkündigst. Die
Neigung, welche mich zu ihnen hinzog, und die Zärtlichkeit, welche ich schon
für sie fühlte, sagten mir nur zu sehr, dass sie von meinem Geblüt wären.
Kommt denn, meine Kinder, komm meine Tochter, dass ich euch umarme und euch die
ersten Zeichen meiner Liebe und väterlichen Zärtlichkeit gebe.“

Zugleich stand er auf, und nachdem er die beiden Prinzen
und die Prinzessin, eins nach dem andern, umarmt, und seine Tränen mit den
ihrigen vermischt hatte, sprach er:

„Das ist noch nicht genug, meine Kinder, ihr müsst
euch untereinander umarmen, nicht als die Kinder des Aufsehers der Gärten, dem
ich immerdar verpflichtet sein werde, dass er euch das Leben erhalten hat,
sondern als die meinigen, als Sprösslinge des Königsstammes von Persien,
dessen Ruhm ihr, wie ich überzeugt bin, fortpflanzen werdet.“

Nachdem er die beiden Prinzen und die Prinzessin, und
diese sich gegenseitig mit ganz neuen Gefühlen umarmt hatten, wie der Sultan es
wünschte, setzte er sich wieder mit ihnen zu Tisch. Er aß eilig, und als er
fertig war, sprach er:

„Meine Kinder, ihr kennt nun in mir euren Vater.
Morgen werde ich auch eure Mutter, die Sultanin zuführen. Bereitet euch zu
ihrem Empfang.“

Der Sultan stieg zu Pferd, und ritt in aller Eile nach
seiner Hauptstadt zurück. Das erste was er tat, als er abgestiegen und in
seinen Palast gekommen, war, dass er dem Großwesir befahl, aufs
allerschleunigste den beiden Schwestern der Sultanin den Prozess zu machen.

Die beiden Schwestern wurden sogleich aus ihrer Wohnung
geholt, einzeln befragt, durch die Folter zum Geständnis gebracht und zum
Vierteilen verurteilt, und alles wurde in weniger als einer Stunde vollzogen.

Unterdessen ging der Sultan Chosru-Schach, im Gefolge
aller damals gegenwärtigen Herren des Hofes, zu Fuß bis an die Tür der
großen Moschee. Nachdem er selber die Sultanin aus dem engen Gefängnis
geführt hatte, in welchem sie seit so vielen Jahren schmachtete und litt,
sprach er zu ihr, indem er mit Tränen in den Augen sie in ihrem jammervollen
Zustand umarmte:

„Teuere Frau, ich komme, euch für die
Ungerechtigkeit, welche ich euch angetan habe, um Verzeihung zu bitten, und euch
die schuldige Genugtuung zu geben. Ich habe diese schon mit der Bestrafung
derjenigen begonnen, welche mich durch einen scheußlichen Betrug verleitet
hatten, und ich hoffe, ihr werdet sie für vollständig erachten, wenn ich euch
zwei vollkommene Prinzen und eine liebenswürdige und reizende Prinzessin
schenke, eure und meine Kinder. Kommt, und nehmt euren Rang wieder ein, samt
allen euch gebührenden Ehren.“

Diese Genugtuung geschah im Angesicht einer zahllosen
Volksmenge, welche haufenweise von allen Seiten herbeigelaufen war, sobald kund
wurde, was vorging, welches sich in wenigen Augenblicken durch die ganze Stadt
verbreitete.

Am folgenden Tag in aller Frühe begaben sich der Sultan
und die Sultanin, welche nun ihr gestriges Kleid der Demütigung und Trauer
wieder mit dem königlichen Prachtkleid vertauscht hatte, im Gefolge ihres
ganzen dazu entbotenen Hofstaates, nach dem Landhaus der beiden Prinzen und der
Prinzessin. Sie langten dort an, und sobald sie abgestiegen waren, stellte der
Sultan die Prinzen Bahman und Perwis und die Prinzessin Parisade der Sultanin
vor, mit den Worten:

„Teure Frau, hier sind die beiden Prinzen, eure
Söhne, und hier ist die Prinzessin, eure Tochter, umarmt sie mit derselben
Zärtlichkeit, mit welcher ich sie umarme: Sie sind mein und euer würdig.“

Tränen im überfluss wurden bei diesen so rührenden
Umarmungen vergossen, und besonders von der Sultanin, welche den Trost und die
Freude erlebte, zwei Prinzen als ihre Söhne und eine Prinzessin als ihre
Tochter zu umarmen, welche ihr so schwere und lange Leiden verursacht hatten.