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475. Nacht

„Herr,“ erwiderte die Prinzessin, „es
verhält sich, wie Euer Majestät sagt, und zum Beweis, dass das Wasser nicht
anderswoher kommt, ist das Marmorbecken aus einem einzigen Stück, so dass es
weder von der Seite her, noch von unten heraufkommen kann. Und was dieses Wasser
Euer Majestät noch wunderbarer machen wird, ist, dass ich nur ein Fläschchen
davon in dieses Becken gegossen habe, und es durch seine besondere Eigenschaft
so angeschwollen ist.“

Der Sultan verließ endlich das Becken, mit den Worten:

„Es ist genug für das erste Mal: Denn ich verspreche
mir wohl, öfter wiederzukommen. Führt mich nun hin zu dem sprechenden
Vogel.“

Indem er sich nun dem Saal näherte, bemerkte der Sultan
auf den Bäumen umher eine zahllose Menge Vögel, welche mit ihrem Gesang und
Gezwitscher die Luft erfüllten. Er fragte, warum sie gerade hier, und nicht auf
den übrigen Bäumen des Gartens, versammelt wären, wo er keinen gesehen oder
singen gehört hätte?

„Herr,“ antwortete die Prinzessin, „dies
kommt daher, weil alle Vögel aus der Gegend umher sich versammeln, um den
Gesang des sprechenden Vogels zu begleiten. Euer Majestät kann ihn in dem
Käfig sehen, welcher in einem der Fenster des Saales steht, den ihr betreten
werden. Wenn ihr darauf Acht gebt, so werdet ihr bemerken, dass sein Gesang den
aller übrigen übertrifft, selbst den der Nachtigall, welche ihm nur von Ferne
nahe kommt.“

Der Sultan trat in den Saal, und da der Vogel in seinem
Gesang fort fuhr, sprach die Prinzessin mit erhobener Stimme:

„Höre, Sklave, hier ist der Sultan, bezeige ihm
deine Ehrfurcht!“

Der Vogel hörte augenblicklich auf zu singen, und alle
die andern Vögel mit ihm, dann sprach er:

„Sehr willkommen sei der Sultan! Der Himmel
überhäufe ihn mit Segen und verlängere die Zahl seiner Jahre!“

Das das Gastmahl vor dem Sofa in der Nähe des Fensters,
wo der Käfig stand, bereitet war, sprach der Sultan, indem er sich zu Tische
setzte:

„Vogel, ich danke dir für deinen Wunsch, und ich
freue mich, in dir den Sultan und König aller Vögel kennen zu lernen.“

Als der Sultan die Schüssel mit Gurken vor sich stehen
sah, welche er wie gewöhnlich gefüllt glaubte, legte er sogleich die Hand
daran, und sein Erstaunen war außerordentlich, als er sie mit Perlen gefüllt
sah.

„Welche Seltsamkeit!“, sprach er, „wozu
eine Füllung aus Perlen? Man kann doch die Perlen nicht essen.“

Er blickte die beiden Prinzen und die Prinzessin fragend
an, was dies zu bedeuten hätte, aber der Vogel sprach dazwischen:

„Herr, kann Euer Majestät so sehr in Erstaunen sein
über eine Füllung aus Perlen, wie ihr vor euch seht, nachdem ihr so leicht
geglaubt habt, dass eure Gemahlin von einem Hund, einer Katze und einem Stück
Holz entbunden sei?“

„Ich habe es geglaubt,“ versetzte der Sultan,
„weil die Hebammen es mir versichert hatten.“

„Diese Hebammen, Herr,“ fuhr der Vogel fort,
„waren der Sultanin Schwestern, aber auf das Glück, womit ihr sie vor
ihnen beehrt hattet, eifersüchtige Schwestern. Um ihre Wut zu befriedigen,
haben sie die Leichtgläubigkeit Euer Majestät missbraucht. Sie werden ihr
Verbrechen gestehen, wenn ihr sie ernstlich befragen lasst. Die beiden Brüder
und ihre Schwester, die ihr hier seht, sind eure Kinder, welche von ihnen
ausgesetzt, aber von dem Aufseher eurer Gärten aufgenommen, und durch seine
Pflege gesäugt und erzogen worden sind.“