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459. Nacht

Der Prinz Perwis ritt nun hinweg, und am zwanzigsten Tag
seiner Reise traf er denselben Derwisch an derselben Stelle, wo ihn der Prinz
Bahman gefunden hatte. Er nahte sich ihm, und nachdem er ihn begrüßt hatte,
bat er ihn, wenn er es wüsste, ihm den Ort anzuzeigen, wo der sprechende Vogel,
der singende Baum und das tanzende Wasser wären. Der Derwisch machte ihm
dieselben Schwierigkeiten und Gegenvorstellungen, wie dem Prinzen Bahman, und
erzählte ihm auch, dass kürzlich erst ein junger Ritter, welchem er sehr
ähnlich sähe, ihn nach dem Weg gefragt, und durch seine dringenden Bitten und
Ungestüm ihn bewogen hätte, ihm denselben zu zeigen. Worauf er ihm eine Art
von Wegweiser mitgegeben, und ihn unterrichtet, was er zum glücklichen Erfolg
beobachten müsste. Er hätte ihn aber nicht zurückkommen sehen, so dass nicht
zu zweifeln, ihm wäre dasselbe Schicksal geworden, wie allen seinen
Vorgängern.

„Guter Derwisch,“ versetzte der Prinz Perwis,
„ich weiß, wer derjenige ist, von welchem ihr erzählt: Es war mein
älterer Bruder. Ich weiß es mit Gewissheit, dass er tot ist. Auf welche Weise?
Das weiß ich aber nicht.“

„Ich kann es euch sagen,“ fuhr der Derwisch
fort, „er ist in einen schwarzen Stein verwandelt worden, so wie alle seine
Vorgänger. Ihr habt dieselbe Verwandlung zu erwarten, wenn ihr nicht genauer,
als er, den guten Rat befolgt, welchen ich ihm auch gegeben hatte. Im Fall ihr
auf eurem Entschluss beharrt, von welchem ich euch noch einmal abmahne.“

„Derwisch,“ versetzte der Prinz Perwis,
„ich kann euch nicht genug meine Dankbarkeit bezeigen für eure Teilnahme
an der Erhaltung meines Lebens, obgleich ich euch ganz unbekannt bin, und nichts
getan habe, euer Wohlwollen zu verdienen. Aber ich muss euch sagen, bevor ich
meinen Entschluss fasste, habe ich alles wohl erwogen, und ich kann ihn nicht
aufgeben. Drum bitte ich euch, mir dieselbe Gnade zu erweisen, wie meinem
Bruder. Vielleicht gelingt es mir besser, als ihm, dieselben Anweisungen zu
befolgen, welche ich von euch erwarte.“

„Da es mir nicht gelingen will,“ sprach nun der
Derwisch, „euch euren Vorsatz auszureden, so würde ich aufstehen, wenn
mein hohes Alter mich nicht daran verhinderte und ich mich aufrecht erhalten
könnte, um euch die Kugel zu geben, welche ich hier habe, und die euch zum
Wegweiser dienen muss.“

Ohne den Derwisch mehr sagen zu lassen, stieg der Prinz
vom Pferd. Als er sich dem Derwisch genähert hatte, zog dieser die Kugel aus
seinem Sack, in welchen er noch eine ganze Menge hatte, gab sie ihm, und sagte
ihm, welchen Gebrauch er davon machen müsste. So wie er es dem Prinzen Bahman
gesagt hatte, und nachdem er ihn recht gewarnt, sich nicht vor den unsichtbaren
Stimmen, wie drohend sie auch wären, zu fürchten, sondern nicht abzulassen,
bis er den Berg erstiegen, und den Käfig mit dem Vogel gefunden hätte, so
entließ er ihn.

Der Prinz dankte dem Derwisch, und als er wieder aufs
Pferd gestiegen war, warf er die Kugel vor sich hin, spornte das Ross und folgte
ihr. Er gelangte endlich an den Fuß des Berges, und als er hier die Kugel still
stehen sah, stieg er ab. Bevor er den ersten Schritt den Berg hinan tat, blieb
er noch einen Augenblick stehen, um die ihm von dem Derwisch gegebenen Weisungen
recht in sein Gedächtnis zurückzurufen. Er fasste sich ein Herz, und stieg
hinan, fest entschlossen, den Gipfel des Berges zu erklimmen. Als er fünf oder
sechs Schritte vorwärts war, da hörte er hinter sich eine Stimme, welche ihm
sehr nahe dünkte, als wenn jemand ihn mit Schimpfworten zurückrufe, und ihm
zuschrie:

„Halt, Verwegener, dass ich dich für deine Frechheit
züchtige!“