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458. Nacht

An dem unglücklichen Tag endlich, wo der Prinz Bahman in
Stein verwandelt wurde, und der Prinz und die Prinzessin sich Abends, wie
gewöhnlich, von ihm unterhielten, sprach der Prinz Perwis:

„Liebe Schwester, ich bitte dich, zieh doch das
Messer hervor, und lass uns sehen, wie es ihm ergeht.“

Die Prinzessin zog es heraus, und beim beschauen desselben
sahen sie Blut von der Spitze träufeln. Die Prinzessin, von Entsetzen und
Schmerz ergriffen, warf das Messer weg, und rief aus:

„Wehe, mein geliebter Bruder, ich habe dich also
verloren, und verloren durch meine Schuld! Ich werde dich niemals wieder sehen!
Ach, ich Unglückliche! Warum habe ich dir von dem sprechenden Vogel, dem
singenden Baum und dem tanzenden Wasser etwas gesagt? Oder vielmehr, was
kümmert es mich, zu wissen, ob die alte Betschwester dieses Haus schön oder
hässlich, vollkommen oder unvollkommen fände? Wollte Gott, dass es ihr nie
eingefallen wäre, hier einzusprechen! – Heuchlerin, Betrügerin,“ fügte
sie hinzu, „musstest du so deine Aufnahme bei mir vergelten? Warum hast du
mir von einem Vogel, einem Baum und einem Wasser erzählt, welche, so
eingebildet sie sind, wie ich an dem unglücklichen Ende eines geliebten Bruders
erkenne, dennoch durch deine Bezauberung mein Gemüt beunruhigen.“

Der Prinz Perwis war nicht minder als die Prinzessin
Parisade über den Tod seines Bruders betrübt. Aber ohne die Zeit mit
fruchtlosen Klagen zu verlieren, nachdem er aus den Wehklagen seiner Schwester
erkannt hatte, dass sie noch immer ein leidenschaftliches Verlangen nach dem
sprechenden Vogel, dem singenden Baum und dem tanzenden Wasser hegte, unterbrach
er sie und sprach:

„Meine Schwester, vergeblich betrauern wir unsern
Bruder Bahman. Unsere Klagen und unser Schmerz geben ihm das Leben nicht wieder.
Es ist Gottes Wille, wir müssen uns ihm unterwerfen, und seine Ratschlüsse
anbeten, ohne sie durchdringen zu wollen. Warum willst du jetzt an den Worten
der andächtigen Frau zweifeln, nachdem du sie so lange für wahr und gewiss
gehalten hast? Glaubst du, dass sie dir von diesen drei Dingen gesagt hätte,
wenn sie nicht vorhanden wären? Und dass sie dieselben erfunden habe, bloß um
dich zu täuschen? Dich, die ihr durchaus keinen Anlass dazu gegeben, vielmehr
sie so ehrenvoll und gütig aufgenommen und bewirtet hat. Lass uns lieber
glauben, dass der Tod unsres Bruders durch sein versehen, oder durch irgend
einen Zufall erfolgt ist, welchen wir uns nicht einbilden können. Drum, liebe
Schwester, lass seinen Tod uns nicht verhindern, unser Ziel zu verfolgen: Ich
hatte mich schon anstatt seiner zu dem Abenteuer erboten, und bin noch dazu
bereit, und weil sein Beispiel meine Gesinnung nicht ändert, so will ich gleich
morgen mich aufmachen.“

Die Prinzessin tat alles mögliche, um es dem Prinzen
Perwis auszureden, und beschwur ihn, sie nicht der Gefahr auszusetzen, zwei
Brüder für einen zu verlieren. Er aber blieb unerschütterlich bei allen ihren
Gegenvorstellungen. Vor seiner Abreise gab er ihr, zur Anzeige von dem Erfolg
seiner Unternehmung, wie sie von dem Schicksal des Prinzen Bahman durch das
zurückgelassene Messer unterrichtet worden, einen Rosenkranz von hundert
Perlen, zu demselben Behufe, und indem er ihr denselben überreichte, sprach er
zu ihr:

„Bete diesen Rosenkranz für mich, während meiner
Abwesenheit. Wenn du beim Abbeten desselben die Perlen nicht mehr bewegen und
nacheinander fallen lassen kannst, sondern sie feststehen, als wenn sie
angeleimt wären, so ist das ein Zeichen, dass ich dasselbe Schicksal erfahren
habe, wie unser Bruder. Aber lass uns hoffen, dass solches nicht geschehen wird,
sondern dass ich das Glück haben werde, dich wieder zu sehen, und unser beider
Wünsche zu erfüllen.“