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453. Nacht

Die Prinzessin Parisade saß einige Zeit, ohne etwas zu
antworten, in derselben Stellung. Sie hub endlich die Augen auf, und blickte die
Prinzen, ihre Brüder, an, schlug sie aber ebenso bald wieder nieder, nachdem
sie ihnen geantwortet hatte, es wäre nichts.

„Meine Schwester,“ fuhr der Prinz Bahman fort,
„du verhehlst uns die Wahrheit: Es muss wohl etwas sein, und sogar etwas
bedeutendes. Es ist unmöglich, dass während der kurzen Zeit unserer Entfernung
von dir, eine so große unerwartete Veränderung, als wir an dir bemerken, um
nichts und wieder nichts mit dir vorgegangen sei. Erlaube, dass wir dich nicht
mit einer für uns so ungenügenden Antwort davon kommen lassen. Verbirg uns
also nicht, was es ist, wenn wir nicht glauben sollen, das du die Freundschaft
und die feste und stete Eintracht, welche von unserer zartesten Jugend bis heute
zwischen uns bestanden haben, aufgibst.“

Die Prinzessin, welche weit entfernt war, mit ihren
Brüdern zu brechen, wollte sie nicht in diesem Wahn lassen, und antwortete:

„Als ich euch sagte, was mir im Sinn läge, wäre
nichts, so sagte ich dies in Beziehung auf euch, und nicht auf mich, indem ich
es allerdings von einiger Erheblichkeit befinde. Da ihr vermöge des Rechts
unserer mir so teueren Freundschaft und Eintracht in mich dringt, so will ich
euch sagen, was es ist.

Ihr habt bisher geglaubt, und ich mit euch,“ fuhr sie
fort, „dass dieses Haus, welches unser seliger Vater uns hat bauen lassen,
in aller Hinsicht vollständig sei, und nichts daran fehle: heute indessen habe
ich erfahren, dass noch drei Dinge daran fehlen, welche es über alle
Vergleichung mit allen Landhäusern auf der Welt erheben würden. Diese drei
Dinge sind der sprechende Vogel, der singende Baum und das tanzende
Wasser.“

Nachdem sie ihnen auseinandergesetzt hatte, worin die
Trefflichkeit dieser Dinge bestünde, fügte sie hinzu:

„Eine anständige alte Frau hat mich hierauf
aufmerksam gemacht, und mir den Ort wo sie sind und den Weg zu ihnen hin
angezeigt. Ihr werdet vielleicht finden, dass diese Dinge für die
Vollständigkeit unseres Hauses von geringer Bedeutung sind, und dass dasselbe,
auch ohne diesen Zuwachs seines Inhalts, immer für ein sehr schönes Haus
gelten kann, und wir folglich dieser Dinge entbehren können. Ihr möget davon
denken, was euch beliebt. Ich aber kann mich nicht enthalten, euch zu bezeugen,
dass ich für meinen Teil dieselben durchaus für notwendig zu unserm Haus
erachte, und nicht eher zufrieden sein werde, als bis ich sie darin angebracht
sehe. Mögt ihr also Teil daran nehmen oder nicht, so bitte ich euch jedoch, mir
mit eurem Rat beizustehen, und zu überlegen, wen ich wohl auf diese Eroberung
aussenden könnte.“

„Meine Schwester,“ erwiderte der Prinz Bahman,
„nichts kann dir am Herzen liegen, was uns nicht ebenso angelegen wäre. Es
genügt an deinem Verlangen nach dem Besitz der Dinge, von welchen du uns sagst,
um uns zu der gleichen Teilnahme daran zu verpflichten. Aber auch abgesehen von
deinem Wunsch, fühlen wir durch eigene Bewegung und zur eigenen Genugtuung uns
dazu angetrieben. Denn ich bin überzeugt, mein Bruder ist ebenso gesonnen, wie
ich, und wir beide müssen alles daran setzen, die Eroberung zu machen, wie du
es nennst: Die Wichtigkeit und Wunderbarkeit diese Ursache verdient wohl diesen
Namen. Ich übernehme die Ausführung. Sage mir nur den Weg, welchen ich nehmen
muss, und den Ort, und ich will die Fahrt dahin nicht länger als bis morgen
verschieben.“

„Mein Bruder,“ wandte der Prinz Perwis ein,
„es ist nicht ratsam, dass du, als das Haupt und die Stütze unseres
Hauses, so lange davon entfernt bist. Ich bitte meine Schwester, sich mit mir zu
vereinigen, um mich zu vermögen, deinen Vorsatz aufzugeben, und mir zu
gestatten, dass ich die Fahrt mache, ich werde das Abenteuer ebenso gut
bestehen, wie du, und es wird so mehr in der Ordnung sein.“

„Mein Bruder,“ versetzte der Prinz Bahman,
„ich bin ganz überzeugt von deinem guten Willen, und dass du das Abenteuer
ebenso wohl bestehen würdest, als ich. Aber es ist eine abgemachte Sache, ich
will es tun. Du bleibst unterdessen bei unserer Schwester, welche ich dir nicht
erst zu empfehlen brauche.“

Er brachte den übrigen Teil des Tages mit Vorbereitungen
der Reise hin und ließ sich von seiner Schwester noch genau die Nachweisungen
der andächtigen Frau wiederholen, um sich nicht zu verirren.

Am andern Morgen in aller Frühe stieg der Prinz Bahman zu
Pferd, und der Prinz Perwis und die Prinzessin Parisade, welche bei seiner
Abreise zugegen sein wollten, umarmten ihn, und wünschten ihm eine glückliche
Reise. Aber bei diesem Abschied fiel der Prinzessin ein Gedanke aufs Herz,
welcher ihr bisher noch nicht eingekommen war.