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45. Nacht

Es war beinahe Tag, als Scheherasade die Geschichte des
zweiten Kalenders folgendermaßen wieder aufnahm: „Gnädige Frau,“
fuhr der Kalender fort, „da wir zehn Saumrosse, mit unserm Zeug und mit den
Geschenken meines Vaters für den Sultan von Indien beladen, mit uns führten,
und unser nur wenige waren, so könnt ihr wohl denken, dass die Räuber nicht
säumten, uns anzufallen. Da wir nicht im Stande waren, Gewalt mit Gewalt zu
vertreiben, so sagten wir ihnen, dass wir Gesandte des Sultans von Indien
wären, und dass wir hofften, sie würden die ihm schuldige Ehrfurcht nicht
verletzen. Wir glaubten dadurch unser Leben und unsre Habe zu retten; aber die
Räuber antworteten uns trotzig: „Warum sollten wir Ehrfurcht haben vor dem
Sultan, eurem Herrn? Wir sind nicht seine Untertanen; wir sind nicht einmal in
seinem Lande.“

Indem sie dies sagten, umringten sie uns und griffen uns
an. Ich verteidigte mich so lange als möglich, aber als ich mich verwundet
fühlte, und sah, dass der Gesandte und seine und meine Leute schon alle zu
Boden gestreckt lagen, benutzte ich die noch übrigen Kräfte meines auch schon
verwundeten Pferdes, und entfloh ihnen. Ich spornte es so lange, als es mich
tragen konnte: aber plötzlich versagte ihm die Kraft, und es stürzte vor
Mattigkeit und Blutverlust stracktot unter mir nieder. Ich machte mich schleunig
davon los; und als ich sah, dass niemand mich verfolgte, erkannte ich wohl, dass
sie sich nicht hatten von der Beute trennen wollen, die sie gemacht hatten.

Bei dieser Stelle bemerkte Scheherasade, dass es Tag war,
und war genötigt, inne zu halten.

„Ach, meine Schwester,“ sagte Dinarsade,
„ich bin recht ärgerlich, dass du diese Geschichte nicht weiter erzählen
kannst.“

„Wenn du heute nicht so lange geschlafen
hättest,“ antwortete die Sultanin, „so hätte ich mehr davon
erzählt.“ –

„Schon gut,“ begann Dinarsade wieder, „ich
will morgen fleißiger sein, und hoffe, dass du die Neugier des Sultans für
dasjenige entschädigen wirst, was meine Nachlässigkeit ihm entzogen hat.“

Schachriar stand auf, ohne ein Wort zu sagen, und ging an
seine gewöhnlichen Beschäftigungen.“