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445. Nacht

„Ich gestehe dir,“ sagte die andere Schwester,
„ich weiß nicht, was ich davon denken soll. Ich begreife nicht, welche
Reize der Sultan an ihr gefunden, dass er sich dermaßen die Augen hat
verblenden lassen. Sie ist ja ein wahres Murmeltier, und du weißt wohl, in
welchem Zustand wir beide sie noch gesehen haben. War das bisschen Jugend,
welches sie vor uns voraus hat, wohl Grund genug, dass der Sultan seine Augen
nicht vielmehr auf dich geworfen hat? Du warst seines Bettes würdig, und er
hätte dir Gerechtigkeit widerfahren lassen und dich vorziehen sollen.“

„Meine Schwester,“ erwiderte die älteste,
„sprechen wir nicht von mir: Ich hätte nichts einzuwenden, wenn der Sultan
dich gewählt hätte. Aber dass er einen Schmuddel vorgezogen hat, das kränkt
mich tief: Ich will mich deshalb rächen, wo ich kann, und du bist dadurch
ebenso beleidigt, wie ich. Darum bitte ich dich, verbinde dich mit mir, damit
wir in übereinstimmung in dieser Sache verfahren, welche uns auf gleiche Weise
betrifft, und teile mir die Mittel mit, welche dir zu ihrer Kränkung einfallen.
Wogegen ich dir verspreche, dir die Anschläge mitzuteilen, welche das
Verlangen, sie meinerseits zu demütigen, mir eingibt.“

Nach diesem heimtückischen Bündnis besuchten die beiden
Schwestern sich häufig, und jedes Mal unterhielten sie sich nur von den Mitteln
und Wegen, wodurch sie das Glück der Sultanin, ihrer jüngsten Schwester,
trüben oder gar vernichten könnten. Sie brachten mehrere Anschläge auf die
Bahn. Aber bei überlegung der Ausführung fanden sie überall große
Schwierigkeiten, dass sie es nicht wagen durften, sich derselben zu bedienen.

Unterdessen besuchten sie von Zeit zu Zeit ihre Schwester,
und mit boshafter Verstellung heuchelten sie ihr alle erdenkliche
Freundschaftsbeweise, um sie zu überzeugen, wie sehr sie sich über eine so
hohe Erhebung einer Schwester freuten. Die Sultanin ihrerseits empfing sie stets
mit allen Beweisen der Achtung und der Freundschaft, welche sie nur immer von
einer Schwester erwarten konnten, die nicht eingebildet auf ihre neue Würde
war, und sie mit derselben Herzlichkeit liebte, wie zuvor.

Einige Monate nach ihrer Vermählung fühlte die Sultanin
sich schwanger. Der Sultan bezeigte darüber große Freude, welche sich bald
überall in dem Palast mitteilte, und dann weiter durch die ganze Hauptstadt von
Persien verbreitete.

Die beiden Schwestern kamen, der Sultanin Glück zu
wünschen, und sogleich sprachen sie mit ihr darüber, dass sie nun einer
Hebamme bei ihrer Entbindung bedürfte, und baten sie, keine andere dazu zu
wählen, als sie beide.

Die Sultanin antwortete ihnen verbindlich: „Meine
Schwestern, ich wünschte selber nichts lieber, wie ihr wohl denken könnt, wenn
nur die Wahl völlig von mir abhinge. Ich bin euch indessen unendlich
verpflichtet für euren guten Willen. Ich muss mich dem unterwerfen, was der
Sultan hierin befiehlt. Ermangelt jedoch beide nicht, eure Männer durch ihre
Freunde den Sultan um diese Gnade bitten zu lassen. Wenn der Sultan mit mir
davon redet, so seid überzeugt, dass ich ihm nicht nur meinen Wunsch zu
erkennen geben, sondern ihm auch für eure Erwählung danken werde.“

Die beiden Ehemänner wandten sich jeder an die ihm
günstigen Hofleute, und baten sie um ihre Verwendung bei dem Sultan, dass ihren
beiden Frauen die gewünschte Ehre zu Teil würde. Diese Hofleute betrieben die
Angelegenheit so nachdrücklich und wirksam, dass der Sultan versprach, daran zu
denken.

Der Sultan hielt ihnen Wort, und bei der ersten
Unterredung mit der Sultanin äußerte er, ihre beiden Schwestern schienen ihm
mehr geeignet, ihr bei der Niederkunft beizustehen, als jede andere Hebamme.
Jedoch wollte er sie nicht dazu ernennen, ohne ihre Zustimmung dazu zu haben.

Die Sultanin empfand tief die Achtung, von welcher der
Sultan ihr einen so verbindlichen Beweis gab, und antwortete: