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443. Nacht

Geschichte
der beiden neidischen Schwestern

Die Sultanin Scheherasade fuhr fort, durch ihre
Erzählungen den Sultan von Indien in der Unentschlossenheit zu erhalten, ob er
sie töten oder leben lassen sollte, und erzählte ihm eine neue Geschichte mit
folgenden Worten:

„Herr,“ sprach sie, „es war einmal ein
König von Persien, Namens Chosru-Schach, welcher seit seinem Eintritt in die
Welt sich sehr in nächtlichen Abenteuern gefiel. Er verkleidete sich häufig,
und in Begleitung eines Vertrauten und ebenso verkleideten Beamten, durchstrich
er die Straßen der Stadt, und es begegneten ihm da manche seltsame Abenteuer,
mit welchen ich jedoch heute Euer Majestät nicht unterhalten will. Aber ich
hoffe, ihr werdet mit Vergnügen dasjenige anhören, was ihm gleich bei seinem
ersten Ausgang begegnete, wenige Tage darauf, als er nach dem Sultan, seinem
Vater, den Thron bestiegen, welcher ihm durch seinen Tod in hohem Alter das
Königreich Persien zum Erbteil hinterlassen hatte.

Nach den gewöhnlichen Feierlichkeiten bei seiner
Thronbesteigung und bei dem Leichenbegängnis des Sultans, seines Vaters, ging
der neue Sultan Chosru-Schach, sowohl aus Neigung als aus Pflicht, eines Abends,
etwa zwei Stunden nach Sonnenuntergang, in Begleitung seines ebenso wie er
verkleideten Großwesirs, aus seinem Palast, um sich selber von dem zu
überzeugen, was vorginge. Als er so in ein Stadtviertel kam, wo nur gemeines
Volk wohnte, hörte er in einer Straße, welche er durchwanderte, ziemlich laut
sprechen. Er näherte sich dem Haus, woher der Ton kam, blickte durch eine
Spalte der Tür hinein, und sah bei einem Licht drei Schwestern auf einem Sofa
sitzen, welche sich nach dem Abendessen miteinander unterhielten. Aus der Rede
der ältesten vernahm er bald, dass Wünsche den Gegenstand ihrer Unterhaltung
ausmachten.

„Weil wir nun einmal beim Wünschen sind,“
sprach sie, „so wünsche ich mir den Bäcker des Sultans zum Mann: Ich
wollte mich recht nach Herzenslust satt essen in dem köstlichen Brot, welches
man vorzugsweise Sultans-Brot nennt. Lasst sehen, ob euer Geschmack ebenso gut
ist, als der meinige.“

„Und ich,“ sprach hierauf die zweite Schwester,
„ich wünschte die Frau des Oberkochs beim Sultan zu sein: Da würde ich
leckere Gerichte essen, und weil ich überzeugt bin, dass das Sultans-Brot im
ganzen Palast gemein ist, so würde es mir auch daran nicht fehlen. Du siehst,
meine Schwester,“ setzte sie hinzu, indem sie sich zu der älteren wandte,
„dass mein Geschmack den deinen wohl aufwiegt.“

Die jüngste Schwester, welche von ausnehmender Schönheit
war und weit mehr Anmut und Geist besaß, als die beiden älteren, sprach nun,
da die Reihe an sie kam, also:

„Was mich betrifft, meine Schwestern, so begnügen
sich meine Wünsche nicht mit so geringen Dingen, ich richte mein Flug höher.
Da es einmal aufs Wünschen ankommt, so wünschte ich die Gemahlin des Sultans
zu sein: Ich würde ihm einen Prinzen schenken, dessen Locken auf der einen
Seite von Gold und auf der andern von Silber wären. Dessen Tränen, wenn er
weinte, als Perlen aus seinen Augen fielen, und dessen rote Lippen, so oft er
lachte, einer sich aufschließenden Rosenknospe glichen.“

Die Wünsche der drei Schwestern, und besonders der Wunsch
der jüngsten, erschien dem Sultan Chosru-Schach so seltsam, dass er beschloss,
sie zu erfüllen, und ohne seinem Großwesir etwas von seiner Absicht
mitzuteilen, trug er ihm auf, sich das Haus wohl zu merken, um am folgenden
Morgen alle drei Schwestern abzuholen und ihm zu bringen.